Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot
alten
Kameraden getroffen, mit dem er dann einen langen Spaziergang unternommen hätte. Auf
unsere Frage nach der Adresse seines Kameraden bekamen wir allerdings wieder keine
zufriedenstellende Antwort. Ich glaube, in diesem Fall fügt sich jetzt alles gut zusammen. Am meisten amüsiert mich der Gedanke, wie Lestrade auf der falschen Fährte weitermacht. Ich fürchte, er wird nicht viel herausbekommen. Nanu, bei Gott, da ist der Mann doch tatsächlich in Person.«
Es war tatsächlich kein anderer als Lestrade, der die Treppen heraufgestiegen war und, während wir noch redeten, zur Zimmertür hereintrat. Seine Selbstsicherheit und Flottheit, die er sonst immer in Gehabe und Kleidung zur Schau stellte, ließen jedoch zu wünschen übrig.
Sein Gesicht hatte einen besorgten, ja verstörten Ausdruck. Seine Kleider waren unordentlich und schlampig. Ganz offensichtlich war er gekommen, um sich mit Sherlock Holmes zu
beraten, denn als er seinen Kollegen bemerkte, schien er verlegen und peinlich berührt zu sein. Er stand mitten im Zimmer, spielte nervös mit seinem Hut und wußte nicht recht, was er tun sollte. »Dies ist wirklich ein höchst seltsamer Fall«, sagte er schließlich.
»Ach, finden Sie das, Lestrade?« rief Gregson triumphierend.
»Hab ich mir's doch gedacht, daß Sie zu dem Schluß kommen würden. Haben Sie es
geschafft, den Sekretär, Mr. Joseph Stangerson aufzuspüren?«
»Der Sekretär, Mr. Joseph Stangerson«, sagte Lestrade ernst, »wurde in der Privat-Pension Halliday heute früh um 6 Uhr ermordet.«
7. KAPITEL
Licht in der Finsternis
Die Nachricht, mit der uns Lestrade begrüßte, kam so plötzlich und unerwartet, daß wir alle drei erst einmal wie erstarrt dasaßen. Dann sprang Gregson auf und stieß dabei den Rest seines Whiskys um. Ich starrte schweigend zu Sherlock Holmes herüber, dessen Lippen
aufeinandergepreßt und dessen Brauen über den Augen zusammengezogen waren.
»Stangerson also auch!« murmelte er, »Ein feiner Komplott braut sich da zusammen.«
»Für mich war's auch vorher schon dick genug«, knurrte Lestrade, der sich jetzt setzte. »Sieht aus, als wäre ich hier gerade in einen Kriegsrat hineingeraten.«
»Sind Sie — sind Sie völlig sicher, was diese letzte Nachricht betrifft?« stotterte Gregson.
»Ich komme gerade aus seinem Zimmer«, sagte Lestrade, »ich habe als erster entdeckt, was passiert war.«
»Wir haben gerade den Mordfall aus der Sicht von Mr. Gregson betrachtet«, stellte Sherlock Holmes fest. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns zu erzählen, was Sie gesehen und gehört haben, Mr. Lestrade?«
»Ich habe nichts dagegen«, sagte Lestrade und setzte sich zurecht. »Ich gebe zu, daß ich der Meinung gewesen bin, Stangerson hätte mit Drebbers Tod etwas zu tun. Diese neue
Entwicklung zeigt mir jedoch, daß ich völlig im Irrtum war. Na, ich war von meiner Meinung überzeugt und machte mich also auf den Weg, den Sekretär zu suchen. Man hatte die zwei am Abend des 3. um halb neun Uhr am Bahnhof Euston gesehen. Um zwei Uhr in der Nacht
wurde Drebber in der Brixton Road gefunden. Die Frage beschäftigte mich, was Stangerson in der Zeit von 8.30 Uhr bis zur Stunde des Mordes gemacht hat. Ich telegraphierte nach Liverpool, gab eine Beschreibung des Mannes durch und bat sie, ein Auge auf die
auslaufenden Schiffe nach Amerika zu haben. Danach habe ich alle Pensionen und Hotels in der Nähe des Euston-Bahnhofes abgesucht, denn sehen Sie, ich sagte mir, wenn Drebber und sein Freund sich getrennt hatten, dann war es doch nur natürlich, daß sich Stangerson in der Nähe des Bahnhofs eine Bleibe für die Nacht suchen würde, um so am nächsten Morgen
wieder am Bahnhof zu sein.«
»Man kann davon ausgehen, daß sie vorher einen Treffpunkt ausgemacht haben«, bemerkte
Holmes.
»Und so war es auch. Ich habe den ganzen gestrigen Abend damit verbracht, Erkundigungen einzuziehen, völlig ohne jeden Erfolg. Heute morgen habe ich dann gleich wieder
weitergemacht. Um 8 Uhr stand ich vor der Pension Hallidays in Little George Street. Auf meine Frage, ob ein Mr. Stangerson dort wohne, antwortete man mir mit Ja.
>Gewiß sind Sie der Herr, den er erwartet<, sagten sie. >Schon seit zwei Tagen wartet er auf jemanden.«
>Wo ist er jetzt?< fragte ich.
>0ben in seinem Zimmer. Wahrscheinlich schläft er noch.«
>Ich gehe am besten gleich zu ihm hoch und sehe nach ihm<, sagte ich.
Ich dachte, mein plötzliches Erscheinen könnte ihn ein bißchen aus der Fassung
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