Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot
Hallo, jetzt kriegen wir mehr Neuigkeiten, als wir gedacht haben. Gregson kommt die Straße herunter, auf dem Weg zu uns, nehme ich an. Die Seligkeit steht ihm im Gesicht geschrieben. Jawohl, er hält an. Da ist er auch schon.«
Die Klingel wurde sehr heftig gezogen. Ein paar Augenblicke später stürmte der blonde
Detektiv die Treppe herauf, er schien drei Stufen auf einmal zu nehmen, und stürzte zu uns ins Wohnzimmer hinein.
»Mein lieber Freund«, rief er und schüttelte Holmes' Hand, der den Druck jedoch nicht
erwiderte, »Sie dürfen mir gratulieren. Ich habe den ganzen Fall ans Tageslicht gebracht.«
Ein ärgerlicher Schatten huschte über das ausdrucksvolle Gesicht meines Freundes.
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie auf der richtigen Fährte sind?« fragte er.
»Wieso richtige Fährte, Sir. Wir haben ihn hinter Schloß und Riegel.«
»Und wer ist er?«
»Arthur Charpentier, Leutnantsanwärter in der königlichen Marine«, rief Gregson
angeberisch, warf sich in die Brust und rieb sich die fetten Hände.
Holmes seufzte erleichtert auf und sein Gesicht entspannte sich zu einem Lächeln.
»Nehmen Sie Platz und versuchen Sie eine von diesen Zigarren?«, sagte er. »Wir sind
neugierig. Wie haben Sie das bloß geschafft? Möchten Sie einen Whisky mit Wasser?«
»Ich hätte nichts dagegen«, sagte der Detektiv. »Die furchtbaren Anspannungen der letzten Tage haben mit ziemlich zugesetzt. Es war nicht so sehr die körperliche wie die geistige Anstrengung. Sie werden das verstehen, Mr. Holmes, denn Sie sind ja auch ein geistiger Arbeiter. «
»Sie tun mir zuviel Ehre an«, sagte Holmes ruhig. »Lassen Sie uns jetzt hören, wie Sie zu Ihrem ausgezeichneten Ergebnis gekommen sind.«
Der Detektiv ließ sich in den Sessel fallen und paffte zufrieden an seiner Zigarre. Dann schlug er sich plötzlich amüsiert auf die Schenkel.
»Der Spaß an der Sache ist«, rief er, »daß dieser Dummkopf Lestrade, der sich selbst für so klug hält, der völlig falschen Fährte gefolgt ist. Er ist hinter dem Sekretär Stangerson her, der mit dem Verbrechen nicht mehr zu tun hat wie ein neugeborenes Kind. Ich bezweifle nicht, daß er ihn inzwischen gefaßt hat.«
Die Vorstellung reizte Gregson so, daß er nahezu vor Lachen erstickte.
»Und wie sind Sie auf die richtige Spur gekommen?«
»Ah, ich werde Ihnen das natürlich alles der Reihe nach erzählen. Aber natürlich muß es ganz unter uns bleiben, Dr. Watson. Die erste Schwierigkeit, die uns zu schaffen machte, war die Frage nach der Vergangenheit der beiden Amerikaner. Andere hätten an meiner Stelle erst einmal abgewartet, bis jemand auf ihre Zeitungsanzeige antwortet oder daß irgendwelche Zeugen freiwillig kommen und mit Informationen herausrücken. Aber das ist nicht die Art, wie Tobias Gregson zu Werke geht. Erinnern Sie sich an den Hut, der neben dem Toten lag?«
»Ja«, sagte Holmes, »von Underwood und Söhnen, Camberwell Road 129.«
Gregson sah weniger siegessicher aus.
»Ich hatte keine Ahnung, daß Sie das auch bemerkt haben«, sagte er. »Sind Sie dort
gewesen?«
»Nein.«
»Ha«, rief Gregson erleichtert aus. »Sie sollten niemals etwas unbeachtet lassen, wie
unbedeutend die Sache auch scheinen mag.«
»Für einen großen Geist gibt es nichts Unbedeutendes«, entgegnete Holmes ruhig.«
»Nun, ich ging jedenfalls zu diesem Underwood und erkundigte mich, ob er einen Hut von dieser Größe und Beschreibung verkauft habe. Er sah in seinen Büchern nach und fand es auch sogleich. Er hatte den Hut an einen Mr. Drebber gesandt, der in Charpentiers Gästehaus an der Torquay Terrace wohnte. So habe ich die Adresse bekommen.«
»Tüchtig, sehr tüchtig!« murmelte Holmes.
»Mein nächster Besuch galt Madame Charpentier«, fuhr der Detektiv fort. »Sie sah recht blaß und bekümmert aus. Ihre Tochter war ebenfalls da — ein ungewöhnlich hübsches Mädchen.
Sie hatte rotgeweinte Augen und ihre Lippen bebten, als ich mit ihr sprach. Das ist meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen. Ich begann Lunte zu riechen. Sie kennen das Gefühl,
Mr. Sherlock Holmes, wenn man schließlich auf die richtige Spur kommt — es ist ein
richtiger Nervenkitzel. >Haben Sie von dem rätselhaften Tod Ihres Gastes, Mr. Enoch J.
Drebber aus Cleveland gehört?< fragte ich. Die Mutter nickte. Sie schien nicht in der Lage, auch nur ein Wort herauszubringen. Die Tochter brach in Tränen aus. Es wurde mir immer klarer, daß diese Leute mehr von der Sache wußten.
>Um wieviel Uhr
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