Sherlock Holmes und das Druidengrab
Zehenspitzen hin und her. Ein sicheres Indiz dafür, das wusste Watson, dass sein Freund Witterung aufgenommen hatte. Sie hatten den Kutscher gebeten, vor der Heimfahrt nach London noch kurz am Mausoleum Halt zu machen. Als sie sich an das schwache Licht im Innern gewöhnt hatten, sah Holmes seinen Freund noch mürrischer dreinschauen als sonst. Wenn sie geglaubt hatten, hier auf etwas Ungewöhnliches zu stoßen, so wurden sie enttäuscht. Die Steinplatten vor den Kammern waren fest vermauert, ein Totenlicht brannte. Vor einer der Kammern lag ein Bund Kirschlorbeer. Holmes betrachtete die Inschrift der Platte.
„Hier liegt das Kind von Elizabeth“, sagte er leise, dann blitzte etwas in seinen Augen auf. „Kommen Sie, lieber Watson, wir haben eine Menge Arbeit vor uns.“
Sie waren gerade erst aus dem Mausoleum getreten, als sich Holmes an seinen Freund wandte. „Was halten Sie von dem Fall?“
Watson legte die Stirn in Falten. Er wusste, Holmes war ihm inzwischen mehr als einen Schritt voraus. Aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass sein Freund ihm keine Ruhe lassen würde. Also versuchte er sich an einer Antwort. „Ich denke, dass der Earl ein unglücklicher Mann ist. Er hat es bis heute nicht verwunden, dass Elizabeth das Kind getötet hat. Auch, dass sie selbst tot ist, bringt ihn immer noch aus der Fassung.“
Holmes nickte zustimmend.
„Dann diese Todesfälle. Drei Tote in zwei Monaten. Darunter die Schwiegereltern des Earls. Schrecklich.“
Watson stieg wieder in die Kutsche und legte sich ein Reiseplaid auf die Knie. Holmes nahm ihm gegenüber Platz und begann, sich eine Pfeife zu stopfen. „Sehen Sie, mein werter Freund, genau das ist es. Es ist erheblich zu viel Unglück, was diese Familie zu erleiden hat. Und wenn Sie mich fragen, das ist auch das Einzige, was dort nicht mit rechten Dingen zugeht. Sie werden am Montag ein paar Dinge für mich erledigen, und dann sehen wir hoffentlich klarer.“
Wie abgesprochen machte sich Dr. Watson zu Wochenbeginn daran, Erkundigungen einzuziehen. Erstaunlicherweise war der Fall „Elizabeth Countess of Worsley“ nirgendwo in den Stadtarchiven Londons zu finden. Weder gab es Hinweise auf das Verbrechen, noch auf ihren Tod. Ratlos traf er am Abend auf Holmes, der nicht sonderlich überrascht zu sein schien. Noch zur selben Stunde verfasste der Detektiv einen Brief an seinen Auftraggeber und bat darin um nähere Beschreibung der Umstände von Elizabeths Vergehen.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am folgenden Abend lag sie den beiden Männern vor. Der Earl of Carnington schrieb, dass Elizabeth damals zu Verwandten nach Plymouth geschickt worden war, um dort zu entbinden und für die nächsten Monate mit dem Kind zu leben, bis die Eltern eine endgültige Entscheidung über ihre Zukunft getroffen hatten. Dort war das Verbrechen geschehen und aus diesem Grund die junge Mutter in Plymouth der Gerichtsbarkeit überstellt worden. Einzig die Tatsache, dass sie das wenige Tage alte Kind anscheinend im Wahn in einen Fluss geworfen hatte, bewahrte sie vor dem Strang. Elizabeths Vater zahlte viel Geld an die Presse, um die Geschichte so gering wie möglich zu halten. Die Familie holte das tote Kind nach Hause, sagte sich von Elizabeth los, und der Earl heiratete zwei Jahre später die ältere Schwester seiner unglücklichen Braut. Die Verbindung blieb kinderlos, woran seine Frau sehr litt, schrieb der Earl of Carnington, und auch er habe Kinder vermisst. Doch irgendwann sei sein Herz ruhiger geworden. Er habe sich arrangiert, in jeder Hinsicht, habe sich viel mit den Kindern seiner Nachbarn beschäftigt, ihnen ein offenes Haus geboten. Dann irgendwann erreichte ihn die Nachricht von Elizabeths Tod. Er habe überlegt, sie heimzuholen, sie neben ihrem Kind zu bestatten, aber noch einmal, ein einziges Mal, sei dieser Hass auf ihr Handeln in ihm hochgekommen und so habe er ein paar Pfund an den Geistlichen des Zuchthauses geschickt, damit dieser eine angemessene Beisetzung veranlassen konnte.
Holmes überflog die Zeilen wieder und wieder. Die Schrift des Mannes, zunächst akkurat und sanft geschwungen, veränderte sich von Seite zu Seite, wurde größer, die Buchstaben wuchsen und bekamen weite Bogen, dann schließlich kippten die Zeilen, die Worte waren nur noch schwer leserlich.
„Ob er betrunken war?“, fragte Watson.
Holmes reichte ihm die Bögen. „Oder todunglücklich. Oder beides. Sie fahren morgen ...“
„... nach
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