Sherlock Holmes und das Druidengrab
Plymouth“, ergänzte Watson und las den Brief noch einmal laut vor.
„Irgendetwas fehlt noch.“ Holmes sah unzufrieden aus. Er schritt vor dem Kamin auf und ab. Inzwischen war es spät in der Nacht.
„Sie meinen, wir haben etwas übersehen?“
„Wir sehen es nicht, weil wir es nicht sehen wollen. Es ist zu offensichtlich“, antwortete der Detektiv.
Watson nickte, aber er wusste beim besten Willen nicht, was sein Freund meinte.
Fünf Tage später war Watson wieder in London. Er hatte mit dem Direktor des Zuchthauses gesprochen, war bei der Zeitung vorstellig geworden, hatte Gerichtsakten gelesen und außerdem versucht Menschen zu finden, die Elizabeth während ihrer Haftzeit gekannt hatten.
„Und?“ Holmes reichte seinem Freund ein Glas Whisky. Der Doktor zuckte mit den Schultern und trank. Das, was er erfahren hatte, stimmte mit den Angaben ihres Auftraggebers überein. Allerdings hatte Elizabeth bis zu ihrem Tod die Tat abgestritten. Eine Weiße Frau habe ihr das Kind entrissen und ins Wasser geworfen – vor ihren Augen. Sie habe hinterherspringen wollen, aber die Strömung hätte es schon mit sich fortgerissen. Als der kleine Körper wenige Stunden später in einem Wehr entdeckt wurde, war er so zerschunden, dass er nicht mehr zu identifizieren war. Es konnte lediglich festgestellt werden, dass es sich um einen wenige Tage alten Säugling handelte.
„Elizabeth wurde angeklagt, der Rest ist bekannt.“
„Aber die Anklage beruht auf Indizien. In dubio pro reo ... das kann man in diesem Fall wohl nicht gerade behaupten. Wie hat sie sich im Zuchthaus betragen, die Strafe hingenommen? Was erzählt man über sie?“
Watson nahm einen weiteren Schluck Whisky zu sich und fixierte seinen Freund. „Sie hat praktisch mit niemandem mehr gesprochen, außer mit einer Zellennachbarin, Claire Brooks. Nachdem Brooks vor Jahren entlassen wurde, war sie mehr oder weniger stumm.“
„Was hatte die Brooks denn auf dem Kerbholz?“ Holmes wurde nun doch neugierig. Watson genoss es; endlich einmal derjenige zu sein, der mehr Informationen besaß als der berühmte Detektiv.
„Claire hatte versucht, ihren gewalttätigen Mann umzubringen und bekam zwanzig Jahre. Wilbert Brooks war Jagdaufseher und sie hatte, so steht es in den Akten, zugegeben etwas stümperhaft sein Gewehr auf ihn gerichtet. Er kam mit einem Streifschuss davon. Kaum war sie verurteilt, starb er. Er hatte Krämpfe, aus heiterem Himmel. Er soll tagelang gelitten haben. Tollwut oder so etwas. Der Gefängnisdirektor wusste es nicht mehr genau. Aber es hatte mit den Wildtieren zu tun. Brooks soll bei der Nachricht seines Todes vor Lachen fast umgefallen sein. Sie ist nach Amerika ausgewandert, heißt es.“
„So. Heißt es.“ Holmes beugte sich zum verlöschenden Feuer und wärmte seine Hände über der verbliebenen Glut. „Ich denke, wir sollten den Earl um die Exhumierung seiner Schwiegereltern bitten. Ich habe da so eine Idee.“
Wie nicht anders zu erwarten, war Robert William Earl of Carnington alles andere als erfreut über das Anliegen des Detektivs, doch er stimmte zu. Während sich Dr. Hubbart an die Arbeit machte, standen die drei Männer am Fenster des Arbeitszimmers und blickten in den dunklen Novembermorgen. Niemand sagte ein Wort, bis Holmes fragte: „Halten Sie mich nicht für neugierig, Sir, aber wieso lebten Sir Cedric und seine Gemahlin in Carnington Hall? Soweit ich weiß, besitzt die Familie Worsley ein schönes Anwesen nur wenige Meilen südlich von hier.“
„Sie sind neugierig, lieber Holmes, aber genau deshalb habe ich Sie engagiert.“ Der Hausherr klingelte nach dem Butler.
„Als Helen und ich heirateten, boten wir meinen Schwiegereltern an, bei uns zu wohnen. Wir wollten alle gemeinsam noch einmal von vorn anfangen, die Schatten der Vergangenheit loswerden.“ Er seufzte. „Worsley Manor nutzen wir ab und an, wenn Helen eine Jagdgesellschaft gibt ... ah, da ist sie ja.“
Pferdegetrappel erklang; im nächsten Moment war die Countess zu sehen, wie sie mit zwei jüngeren Männern in Richtung Wald davon ritt.
„Thomas und Harold, die Söhne unserer Nachbarn. Die Frauen sind ... waren ... befreundet“, beeilte sich Carnington mit der Beantwortung der ungestellten Frage.
Holmes zog eine Augenbraue hoch und hüstelte.
„Wieso waren? Oder ist das indiskret?“
Der Earl schüttelte den Kopf.
„Sie ist vor vielen Jahren bei einem Reitunfall umgekommen. Schrecklich. Helen musste alles mit ansehen. Seitdem
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