Sherlock Holmes und das Druidengrab
Dunkeln. Erst nach mehrmaligem Läuten öffnete ein junger Mönch die Türluke.
„Guten Abend. Ich möchte zu Pater Mac Conmara. Es ist dringend!“
„Im Clementinum herrscht Silentium, mein Sohn.“
„Nennen Sie mich nicht mein Sohn! Pater Mac Conmara ist in großer Gefahr!“
„Das haben seine Besucher auch gesagt.“
„Seine Besucher? Wer ...?“
„Machen Sie auf, Mann!“, ertönte hinter mir Holmes‘ Stimme. „Ich habe einen Passierschein von Pater Mac Conmara.“
Er reichte ihn durch die Klappe. Der Mönch nahm sich zum Lesen Zeit. Viel Zeit. Dann entschloss er sich endlich, zu öffnen.
„Wer ist denn bei ihm?“, wollte Holmes wissen. „Amtsbrüder?“
„Ein Bruder und sein Begleiter. Seit etwa fünf Minuten. Ein sehr großer, stummer. Ich dachte noch ‚Der Herr beschütze mich vor diesem Anakiter‘! “
Endlich durften wir das Clementinum betreten.
„Dritter Stock, ganz hinten“, rief der Bruder Pförtner uns nach, als wir die steinernen Treppen emporhasteten. Holmes stand bereits an der Tür, als ich erst den Gang entlanggehastet kam. Mit dem Fuß schob ich ein verschlissenes Sofakissen auf dem Boden zur Seite.
„Pater“, sagte Holmes mit gedämpfter Stimme, „öffnen Sie!“
In diesem Moment ertönte drinnen ein dumpfer Schlag. Holmes drückte mit der Hand die Tür auf. Der Riegel des Schlosses war völlig verbogen.
„Er hat mit dem Kissen den Lärm gedämpft“, schloss Holmes. „Pater?“, rief er dann fragend, während er die Räumlichkeiten des Geistlichen betrat. Unseren Augen bot sich ein chaotisches Bild. Vor uns stand in Priesterkleidung Vacláv, der immerfort hebräische Worte murmelte, welche er von einem Packen Papiere ablas.
„Watson, den Schürhaken!“, rief Holmes und zog seinen Revolver.
Im Hintergrund des mondhellen Raumes versuchte der Pater, mit seinem eisenbewehrten Stock den Golem abzuwehren, der ebenfalls ein Priestergewand trug. Der abgetrennte linke Arm des Ungeheuers wand sich, noch voller Leben, am Boden. Mit dem anderen Arm drosch es wie wild auf den Pater ein. Ein fürchterlicher Stoß warf diesen gegen die Wand. Ein weiterer Treffer mit der Faust ließ ihn mit blutüberströmtem Gesicht zusammenbrechen.
„Watson!“ Holmes hob den Revolver, damit Vacláv mich nicht am Eingreifen hindern konnte. Mein erster Schlag mit dem Schürhaken traf den Golem genau in den Nacken. Der Kopf flog, vom Rumpf getrennt, quer durch den Raum. Langsam neigte sich der Körper nach vorn, stürzte zu Boden und zerbrach in mehrere Teile. Der Arm und die Beine bewegten sich noch hilflos hin und her, der Kopf blieb mit dem Gesicht nach oben liegen.
Als ich erneut ausholte, fiel hinter mir ein Schuss. Vacláv ließ ein Messer fallen und stürzte, sich den blutenden Oberschenkel haltend, neben seinem Geschöpf zu Boden.
Mein zweiter Schlag zertrümmerte dem Kopf des Golems die Stirn. Das Eisen zerteilte das Wort EMETh genau nach dem ersten E. Plötzlich war alles still. Nur das Ächzen der beiden Verwundeten war zu hören. Ich wusste, was ich zu tun hatte, und holte meine Arzttasche, die ich im Flur neben der Tür abgestellt hatte.
Vacláv war von Mönchen weggebracht worden. Der Pater wusste, dass das Spiel verloren war, und legte ein Geständnis ab. Weil der Golem ihm mehrere Zähne ausgeschlagen hatte, war er nur schwer zu verstehen.
„Also gut! Vacláv Vukasinovič war einmal mein Schüler. Und der meiner Mitbrüder Armand, von Mohl und van Dreelen. Ein bezaubernd schöner Jüngling. Mit engelsgleichen goldenen Locken. Und so sanft! Wir liebten ihn, wie man einen Jüngling nur lieben kann. Eines Tages wies er unsere Liebe schmählich zurück, fluchte ihr sogar. Als wir ihn dafür bestraften, verließ er die Schule. Vor etwa zehn Jahren. Wir wollten ihn zurückgewinnen. Für uns. Und für den wahren Glauben. Angeblich habe er sich, hörten wir, in der Moldau ertränkt. Vor einigen Monaten stand er jedoch in der Altstadt unverhofft vor mir. Er rannte einfach davon.“
„Er“, folgerte Holmes, „und nicht die beiden längst als Fälschungen entlarvten Handschriften waren Anlass ihrer so genannten akademischen Konferenzen.“
„Exakt! Wir ahnten, dass seine verblendete Seele nach Rache dürsten würde. Wir berieten noch, was zu tun wäre, da wurden Armand und von Mohl überfallen. Vacláv hatte uns ausgespäht! ‚Der Golem …‘ soll von Mohl im Angesicht des Todes gemurmelt haben. Ich begriff sofort und bewaffnete mich entsprechend.
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