Sherlock Holmes und das Druidengrab
eingrenzen, ob es sich eher um das Gift einer Schlange oder eines anderen Tieres handelt?“, wollte Holmes wissen.
„Ich habe solch ein Gift in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, Holmes. Würde ich es nicht mit meinen eigenen Augen sehen, würde ich ausschließen, dass es so etwas gibt“, meinte ich schulterzuckend.
„Und der Biss? Kann daraus auf die Größe des Tieres geschlossen werden?“
„Vielleicht war es gar kein Tier“, sagte ich und freute mich über den Geistesblitz. Hatte ich etwa einen Gedanken, der Holmes bisher entgangen war? „Vielleicht war es eine Art Phiole, auf deren Resten wir jetzt knien.“ Bedeutungsvoll wies ich auf die seltsamen Glasreste.
„Nein, es war ein Tier“, antwortete Holmes so bestimmt, als wäre er dabei gewesen. Ungeduldig insistierte er: „Bitte ... ist es aufgrund der Bissspur möglich, auf die Größe des Tieres zu schließen?“
„Ich bin kein Experte für Giftschlangen und Tierbisse.“ Ich gestehe, bei meiner Antwort etwas beleidigt gewesen zu sein, doch Holmes schien dies nicht wahrzunehmen.
„Nun gut. Es kann Tage dauern, bis die Polizei hier ist“, meinte er. „Bis dahin sollten wir den Mörder festnehmen.“
Ich räusperte mich verwirrt. „Kennen wir den denn schon?“ Wieder zeigte Holmes dieses spöttische Lächeln, das nur eine Mutter lieben konnte. „Die Hälfte von uns, mein lieber Watson. Die Hälfte von uns.“
Den Rest des Tages geisterte Holmes durch Castonhall, um Spuren zu sichern, wie er sagte. Mir fiel es zu, in dieser Zeit die anderen Anwesenden zu befragen. Dabei wurde ich den Eindruck nicht los, dass Holmes mir damit nur das Gefühl geben wollte, nicht vollkommen nutzlos zu sein. Dabei wurde mir meine Nutzlosigkeit bei der Befragung erst recht bewusst. Natürlich hatte niemand etwas gesehen und niemand hatte ein Alibi; schließlich hatte auch ich in meinem Bett gelegen und geschlafen. Auch Sir Roderiks Kontrolle der Terrarien war ergebnislos verlaufen.
Hatte Holmes den Fall wirklich schon gelöst? Immer wieder ging ich im Geiste die wenigen Spuren durch. Ein unbekanntes Gift, das alle Muskeln verkrampfte, aber dennoch so lautlos tötete, dass nicht einmal Grace etwas gehört hatte. Wenigstens hatte ich mir die Bedeutung des Glases und der Feuchtigkeit zusammengereimt: Masters hatte ein gefülltes Glas bei sich gehabt. Dieses war zu Boden gefallen, als er gebissen worden war. Da sowohl Glas als auch Flüssigkeit vor allem bei der Vase zu finden waren, war klar, dass die Giftschlange vermutlich in selbiger versteckt gewesen war.
Aber wie konnte Holmes daraus auf den Täter schließen? Musste es bei einem Tierbiss überhaupt einen geben?
Abends stieß Holmes wieder zu uns und war für die Tatsache, dass es am Morgen einen Toten im Haus gegeben hatte, eindeutig zu gut gelaunt.
„Ich darf zunächst alle Anwesenden beruhigen“, verkündete er. „Ich habe Beweise gefunden, die den Täter eindeutig identifizieren. Leider wird erst nach einer aufwändigen Auswertung durch die Polizei klar sein, wer für den Tod des bedauernswerten Masters verantwortlich ist.“ Da diese Ankündigung jedoch für wenig Beruhigung sorgte, fügte er hinzu: „Ich kann jedoch versichern, dass es bis zum Eintreffen der Polizei keine weiteren Übergriffe geben wird.“
„Wie können Sie da so sicher sein?“ Higgs’ Stimme klang unangenehm schrill. Er wirkte hektisch und angespannt. „Jeder könnte der Nächste sein!“
„Ich versichere Ihnen, dass der Mörder keinerlei Ambitionen hegt, einem von uns zu schaden.“
Higgs schien nicht überzeugt, ließ die Sache aber auf sich beruhen, als sich Grace zaghaft an Holmes wandte: „Aber eine Schlange könnte doch überall sein.“ Ihre weit aufgerissenen Augen machten das Ausmaß ihrer Angst deutlich. Ich war stolz, wie sehr sie sich dennoch unter Kontrolle hatte.
„Schlangen sind Kaltblüter, Miss Grace“, erklärte Holmes freundlich. „Deshalb heizt Ihr Vater die wichtigsten Räume von Castonhall auch so großzügig. Die Schlange wird sich also entweder in häufig genutzten Räumen der Burg befinden, da hätten wir sie bereits finden müssen, oder hat sich in ungenutzten Nischen niedergelassen, dann wäre sie bei den winterlichen Temperaturen dort draußen bereits tot.“
Grace zeigte ein tapferes Lächeln, doch ihre Augen waren weiterhin voller Angst. Holmes ergriff ihre Hand. „Miss Grace, ich werde Ihr Gemach persönlich inspizieren, um nächtliche Begegnungen mit einer
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