Sherlock Holmes und das Druidengrab
Giftschlange unmöglich zu machen.“ Er schmunzelte leicht anzüglich. „Schließlich wäre es um Sie weit mehr schade als um jeden von uns.“ Jetzt erreichte ihr Lächeln auch ihre Augen. Holmes hatte zweifellos die Gabe, andere zu beeindrucken.
„Mr Rao“, sagte er dann, während er sich umdrehte. Der Inder schrak zusammen, als hätte Holmes ihm einen Säbel an die Kehle gesetzt.
„Ja, Sahib?“ Seine kräftige Stimme schien nicht recht zu seiner schreckhaften Art zu passen.
„Haben Sie eine Erklärung dafür, was Major Masters des Nächtens vor Miss Graces Tür geführt haben könnte?“
Der Inder sah Holmes mit großen runden Augen an. „Ich ...“ Er zögerte offensichtlich.
„Ihr Herr ist tot“, stellte Holmes klar. „Wenn Sie ihm weiterhin treue Dienste leisten möchten, sollten Sie alles zur Ergreifung seines Mörders tun.“
Rao nickte nach kurzer Überlegung. „Ja, Sahib. Major Masters hatte große Liebe für junges Mädchen“, erklärte er. „Stand häufig vor Tür von verboten Mädchen falls kommt heraus.“ Dann beeilte er sich mit Blick auf die empörten Gesichter von Sir Roderik und dessen Tochter hinzuzufügen: „Aber hätte nie geklopft. Traute sich nie. Hatte aber schon Erfolg mit ...“ Plötzlich schoss ihm die Röte ins Gesicht und er brach ab.
Holmes nickte zufrieden. „Perfekt.“ Eine Spinne hätte nicht zufriedener aussehen können, wenn ihr genug Proviant für kommende Spinnengenerationen ins Netz gegangen wäre.
Nachdem ich gerade das Bett bereitet hatte, holte Holmes mich heimlich in sein Zimmer herüber.
„Wir werden abwechselnd schlafen“, sagte er, doch ich kannte ihn zu gut: Er würde kein Auge schließen.
„Dann war die Ankündigung mit den Beweisen nur eine Falle?“, wollte ich wissen.
„Natürlich war sie das.“
„Es gibt also keine Beweise?“
Er lachte leise. „Mein lieber Watson, wer hat denn einen Grund, Major Masters zu töten?“
Ich runzelte nachdenklich die Stirn. „Higgs kannte ihn vor unserem Treffen nicht ...“
„... und er hat gestern Abend zu viel getrunken, um einen raffinierten Mord zu verüben“, vollendete Holmes meinen Satz.
„Sir Roderik?“, fragte ich entsetzt.
„Der hätte zweifellos einen Grund. Wäre Grace meine Tochter, hätte ich Masters eigenhändig erwürgt“, stimmte Holmes zu. „Aber Sir Roderik hat den nächtlichen Besuch nicht ahnen können und selbst wenn, hätte er wohl kaum zugelassen, dass Grace die Leiche findet.“
„Dann bleibt nur Rao“, sagte ich irritiert.
„Nicht ganz“, erwiderte Holmes. „Aber ich bin tatsächlich sicher, dass Rao seinen Herrn getötet hat.“
„Aber wenn Rao ihn töten wollte, hätte er dazu bestimmt bessere Gelegenheiten gehabt“, wandte ich ein. „In Indien ist es sicher leichter, einen Engländer verschwinden zu lassen.“
„Rao hat sein Motiv aber erst gestern Abend bekommen.“ Bedächtig schenkte er uns zwei Gläser Scotch ein und genoss meine Ungeduld. „Es war kaum zu übersehen, das Rao nichts von der Beteiligung seines Herrn an der Niederschlagung des Indienaufstands ahnte.“
„Aber Holmes! Masters war Offizier und lebte in Indien ...“ Ich fand die Idee so absurd, dass ich den Kopf schüttelte.
„Das ist wahr. Aber gestern hat Masters zugegeben, auch in Kanpur dabei gewesen zu sein.“ Holmes lächelte, als wäre damit alles gesagt.
„Ja und? Bei den Niederschlagungen ist die gesamte Armee des Empires in die Barbarei zurückgefallen. Massenerhängungen, religiöse Schändungen, Tötung von Frauen und Kindern. Jeder Inder hätte ein Motiv, jeden britischen Soldaten umzubringen.“
„Das stimmt“, gab Holmes lächelnd zu. „Aber in Kanpur kam es am Morgen nach der Eroberung zu systematischen Massenvergewaltigungen. Man munkelt, dass die Offiziere hierzu angestachelt haben und sogar beteiligt waren.“
„Und?“, wollte ich fragen, doch dann kam mir die Erleuchtung, als hätte Holmes mir eine Zeichnung gemacht: Rao hatte blaue Augen. Er musste ein Mischling sein!
Als Holmes sah, dass ich verstand, nickte er. „Es ist kaum vorstellbar, welche Behandlung einem durch Vergewaltigung entstandenen Kind im Kastensystem Indiens widerfährt“, sagte er ernst. Erschüttert schwieg ich mehrere Minuten. „Aber wo hat Rao die Schlange her?“, wollte ich dann wissen.
„Die Schlange ist in Indien ein heiliges Wesen“, antwortete Holmes. „Es gibt viele Kulte, Schlangenbeschwörer und Ähnliches. Und ein junger Inder, der als
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