Sherlock Holmes und das Druidengrab
Todes ein Urteil abzugeben. Nach Ansicht der Polizei hatte er sich in seiner letzten Stunde mit Arbeiten an einer steinernen Statue von groteskem Äußeren beschäftigt und diese in seinem Todeskampf mit sich gerissen, denn sie lag, von seinem Blut beschmiert, halb über ihm. Als man sie wegwälzte, fiel aus ihrem Rachen ein Zettel mit unverständlichen Zeichen, der sich wie von einem plötzlichen Luftzug getragen erhob und in das Kaminfeuer flatterte.
Inspektor Lestrade von Scotland Yard äußerte in einem Zeitungsinterview die Ansicht, der Professor habe bei seinen Ausgrabungen im Irak oder Ägypten irgendeine fanatische Sekte beleidigt, deren Mitglieder nun grausame Rache an ihm genommen hatten. Niemand widersprach ihm, auch Holmes nicht.
Ich muss hinzufügen, dass mein Freund es nicht gerne hört, wenn von dieser Geschichte die Rede ist, und mir auch verboten hat sie niederzuschreiben. Daher verschließe ich sie hier in meinem Nachlass; sie soll erst veröffentlich werden, wenn Holmes und ich beide unsere ewige Ruhe gefunden haben.
Andreas Flögel
www.dr-dings.de
wurde schon früh vom Lesefieber infiziert und bis heute nicht geheilt. Er schreibt Geschichten aus allen Bereichen der Phantastik, aber auch Krimis, Märchen und wonach ihm sonst der Sinn steht. Veröffentlichungen in verschiedenen Anthologien und Magazinen. Sein Ziel ist es, den Leser mit seinen Erzählungen gut zu unterhalten. 2011 wurde seine Science Fiction-Geschichte „Lod, Lad, Chine“ für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert.
DIE FREMDE
Andreas Flögel
Auch als ich nicht mehr mit Holmes zusammenwohnte, musste ich ihn nicht in Person sehen, um zu wissen, wie es um ihn stand.
Schon wenn Mrs Hudson, seine Wirtin, mir die Haustür in der Baker Street öffnete, konnte ich an ihrem Gesicht erkennen, wenn er mal wieder in einer seiner depressiven Phasen steckte.
„Es ist gut, dass Sie endlich da sind, Dr. Watson. Schon seit Tagen hat er seine Räume nicht verlassen. Er lässt niemand zu sich, hat sein Zimmer abgeschlossen und rührt das Essen, das ich vor die Tür stelle, nicht an. Außerdem hat er seit mehreren Nächten nicht geschlafen. Ich höre ihn nur die ganze Zeit rumoren. So kann es nicht weitergehen.“
Holmes hatte immer wieder diese Anfälle von Niedergeschlagenheit, aber wie Mrs Hudson berichtete, war es diesmal besonders schlimm.
Um ihm gar nicht erst die Gelegenheit zu geben, mich vor seiner Zimmertür abzuweisen, holte ich tief Luft und legte die Hand auf die Klinke. Mit meinem ganzen Körpergewicht warf ich mich gegen die Tür. Der Riegel bot nur kurz Widerstand, dann stand ich im Zimmer.
Holmes lag mitten im Raum rücklings auf dem Boden. Mit zwei Schritten war ich bei ihm.
„Watson, was soll diese unziemliche Hast? Und treten Sie ein wenig zur Seite.“ Als ich nicht gleich reagierte, keifte er: „Jetzt!“
Ich erschrak dermaßen, dass ich zurückwich, keinen Moment zu spät, denn plötzlich fiel etwas von der Decke und blieb im Fußboden stecken, genau da, wo ich kurz zuvor gestanden hatte. Es war das Klappmesser, mit dem Holmes normalerweise seine Korrespondenz an die Wand pinnte. Der Boden und die Zimmerdecke waren voller einschnittartiger Löcher.
„Holmes, was soll das?“
„Ach, nur ein kleiner Zeitvertreib, den ich ersonnen habe, um die Reflexe zu üben. Man legt sich auf den Boden, wirft das Messer an die Decke und wartet, bis die Schwerkraft es wieder herunterfallen lässt. Erst dann darf man ausweichen.“
Ich schnaubte. „Eine Beschäftigung für Lebensmüde. Holmes, was haben Sie nur? Auch die arme Mrs Hudson hat Angst um Sie.“
Mein Freund war in einem erbärmlichen Zustand. Er hatte sich augenscheinlich seit Tagen nicht rasiert, seine Haare standen wild durcheinander und sein Hemd war voller Flecken. Als er mich anschaute, sah ich die tiefen Ringe unter seinen Augen, die vom Schlafmangel rührten.
„Aber Sie wissen doch, Watson, das Problem ist nicht, was ich habe, sondern was ich nicht habe. Mir fehlt eine Herausforderung, Beschäftigung für meinen Verstand, Abenteuer.“
„Was Ihnen fehlt, Holmes, ist vor allem eine Mütze voll Schlaf.“
Er setzte sich in einen Sessel, zusammengesunken wie ein Häufchen Elend. „Schlaf? Ich kann nicht schlafen. Zuviel geht mir durch den Kopf. Ist Ihnen nicht auch schon aufgefallen, Watson, dass wir in der falschen Zeit geboren wurden? Die Geheimnisse der Welt sind enttarnt, die Entdeckungen sind gemacht. Die Fortschritte in den Wissenschaften
Weitere Kostenlose Bücher