Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
Vom Netzwerk:
Herablassung in der Stimme, die die ganze Gruppe einschloß. Ich konnte sehen, woher die Tochter ihre Selbstherrlichkeit hatte.
    »Loge fünf?«
    »Aber ja! Woher wußten Sie –?«
    Ich fegte ihre Frage mit einem kleinen Lachen vom Tisch.
    »Und woher wissen Sie, daß er diese Loge belegt, wenn Sie ihn doch nie zu Gesicht bekommen haben?«
    »Oh, aber er läßt mir doch immer drei Francs Trinkgeld liegen.«
    »Ein aufmerksamer Geist«, mußte ich zugeben.
    »Und er hat strikte Anweisung erteilt, daß diese Loge zu allen Zeiten für ihn reserviert bleiben muß.«
    »Sie haben ihn gehört?«
    »Durch die Wand, Monsieur. Er hat die süßeste Stimme auf der Welt.«
    Ich betrachtete Poligny und Debienne, die ihrerseits jedoch so taten, als hätten sie nicht zugehört, und sich am Buffet zu schaffen machten.
    Die Soirée nahm ihren Lauf, und die Spekulationen über den Tod des unglücklichen Maschinenmeisters rissen nicht ab. Die grausige Angelegenheit übte eine Faszination aus, die noch zu neu war, als daß man ihr hätte widerstehen können. Ich nahm Irene Adler am Ellbogen und führte sie vorsichtig aus dem Zentrum der Unterhaltung fort.
    »Ich würde mir gern den Schauplatz von Buquets angeblichem Selbstmord ansehen«, erklärte ich ihr leise. »Falls irgend jemand meine Abwesenheit bemerkt, würden Sie so nett sein, mich zu entschuldigen?«
    Sie nickte, und als La Sorelli ihre Rede begann, in der sie Debienne und Poligny in den Himmel lobte und sich dankbar von ihrem Schaffen an der Oper verabschiedete, schlüpfte ich leise aus dem Raum.
    Bevor ich mich an meinen Abstieg machte, stellte ich fest, wo sich der zur Zeit leere Umkleideraum von Christine Daaé befand und untersuchte ihn. Es war ein ungewöhnlich geräumiges Zimmer mit Spiegeln an den Wänden und einem Wandschirm ähnlich demjenigen, der mich bei meinem Vorspielen von Leroux getrennt hatte. Ein Spülbecken, ein Schrank mit mehreren Kostümen, ein Sekretär, ein Drehstuhl und ein Diwan komplettierten die spärliche Einrichtung. Ein köstlicher Duft erfüllte den Raum, zweifellos der Geruch von Mademoiselle Daaés Eau de Toilette.
    Ich war mir nicht sicher, was ich durch diese Untersuchung zu erfahren hoffte, aber das Zimmer sagte mir nichts. Ich war aus der Übung, Watson. Hinzu kam, daß ich hier die Quellen entbehren mußte, aus denen ich für gewöhnlich schöpfte. In London wäre ich in der Lage gewesen, die Männer, die Buquet gefunden hatten, zu befragen, ich hätte die Leiche untersuchen können – in einem Wort, ich hätte die Kleinigkeiten zusammentragen können, die ich brauchte, um meine Beweiskette konstruieren zu können. Hier jedoch hatte ich keinen solchen Luxus. Tatsächlich war es so, als hätte man mir eine Hand auf dem Rücken gefesselt. Dennoch blieb mir nichts anderes übrig, als mit den wenigen Mitteln, die mir zur Verfügung standen, meine Arbeit, so gut es ging, voranzutreiben.
    Ich verließ den Ankleideraum, stieg wieder in den leeren Flur hinauf und ging von dort aus zur Wendeltreppe am anderen Ende des Ganges, wo ich zögernd stehenblieb. Ich fühlte mich etwa so wie Alice, als sie sich entschloß, in den Kaninchenbau hinunterzuspringen.
    Eingedenk der Tatsache, daß ich mich schon einmal in der unterirdischen Weite diese Gebäudes verlaufen hatte, gab ich peinlich genau auf meinen Weg acht, während ich meinen Abstieg in das nächste Kellergewölbe in Angriff nahm.
    Schon bald hatte ich die Geräusche der Abschiedsfeier hinter mir gelassen. Das Klatschen und die Trinksprüche im Anschluß an La Sorellis Abschiedsrede verklangen immer mehr, während ich die Stufen hinabstieg.
    An einer Stelle, die ich für den dritten Treppenabsatz hielt, ergriff ich eine große Laterne, die an einem Wandleuchter neben der Treppe gehangen hatte. Solchermaßen ausgerüstet, trat ich an die Kulissenstütze, wo ich sogleich auch die Statue aus Le Roi de Lahore wiedererkannte. In der Dunkelheit über mir hing der Balken, an dem der arme Buquet sein Ende gefunden hatte. Im Schatten konnte ich jedoch noch ein Stück von einem braunen Hanfseil erkennen, das einen säuberlichen, dreieckigen Schnitt an seinem unteren Ende aufwies. Die polizeiliche Untersuchung war eindeutig unvollständig gewesen, denn sie hatten das Seil noch nicht entfernt.
    Ich hatte nur eine schwache Beleuchtung und keine Lupe, Watson; wie dem auch sei, Sie kennen meine Methoden. Ich ließ mich auf dem Boden nieder und machte mich daran, den Schauplatz zu untersuchen. Wie

Weitere Kostenlose Bücher