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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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hören Sie mir zu. Niemand wird uns verhaften. Morgen abend um diese Zeit werden wir beide in trockenen Kleidern auf unseren gewohnten Stühlen im Orchestergraben sitzen und bei der Operngala spielen. Für den Augenblick müssen Sie tun, was ich Ihnen sage. Das ist eine polizeiliche Anweisung«, erinnerte ich ihn, um ihn etwas zu ermutigen.
    Er seufzte unglücklich, blieb jedoch neben mir stehen, während ich wieder nach meinem Werkzeug griff, und hielt mir stumm die Laterne. Ich begann, die Tür der Gruft aufzustemmen, was nicht weiter schwierig war; das Schloß war eher ein Schmuck als ein Hindernis. Es gab meinen Bemühungen mit einem leisen Stöhnen des Protests nach und öffnete sich mit einem gedämpften Knirschen. Ich winkte dem Geiger zu, damit er mir folgte, und betrat die Gruft.
    Drinnen war es kühler, aber immerhin trocken. Überall hingen Spinnweben, und ein unangenehm muffiger Geruch schlug uns entgegen.
    Der Garnier-Clan hatte hier sechs Katafalke. Der Architekt lag rechts von mir in der Mitte, was ein diskretes Messingschild anzeigte, das mittlerweile zu einem schmuddeligen Grün oxidiert war.
    »Halten Sie die Laterne höher.«
    Sprachlos gehorchte er. Das Geräusch des Stemmeisens, das die eisernen Scharniere und Schnappverschlüsse splittern ließ, rief in dieser kleinen Kammer ein donnerndes Echo hervor.
    » Mon dieu, mon dieu! Das ist ja barbarisch«, murmelte der anständige Bursche. Und doch hatten ihn meine Bemühungen gegen seinen Willen in ihren Bann geschlagen. Die Neugier gehörte zu seinen besten Eigenschaften.
    »Was meinten Sie vorhin mit Daedalus? Wer ist Daedalus?«
    »Einst, vor langer Zeit, noch bevor man anfing, Geschichte zu schreiben, war Minos der König von Kreta«, erklärte ich ihm, während ich mit steifen Fingern eine eingerostete Schraube aufzudrehen versuchte. »Der Bruder seiner Frau war ein Ungeheuer, halb Mann, halb Stier, und wurde Minotaurus genannt.«
    »Kommen Sie doch endlich zur Sache, bitte!«
    »Wie Sie wollen. Seine Frau liebte ihren schrecklichen Bruder und konnte den Gedanken, daß man ihn tötete, nicht ertragen. Daraufhin engagierte der König eine Gruppe von Architekten, die ein Labyrinth konstruieren sollten, in dem das Ungeheuer gefangen saß, so daß man es am Leben lassen konnte und gleichzeitig verhinderte, daß es anderen Schaden zufügte. Daedalus war der Name des obersten Architekten.«
    Darüber dachte er schweigend nach, während ich weiterarbeitete.
    »Sie glauben, Garnier ist das Ungeheuer? Daß er sich sein eigenes Labyrinth geschaffen und dann darin niedergelassen hat?«
    »Ich bin mir dessen sicher.« Ich drückte den Deckel des Katafalks hoch und hörte ein unheilverkündendes Quietschen. Ponelle drückte sich ängstlich näher an mich. »Hier, helfen Sie mir, dieses Ding aufzubekommen.«
    Zusammen gelang es uns, den Deckel zurückzuwerfen.
    »Nehmen Sie das Licht, und sagen Sie mir, was Sie sehen.«
    »Ich kann nicht.«
    Dann aber drängte er sich mit einer plötzlichen Entschlossenheit an mir vorbei, die ich ihm kaum zugetraut hätte, und stellte sich auf den Katafalk darunter, damit er hoch genug kam, um etwas zu sehen. Einen Augenblick später hörte ich ihn entsetzt aufstöhnen, und er taumelte zurück, wobei er um ein Haar die Laterne gegen die steinerne Mauer geschlagen hätte. Ein furchtbar trockener, krächzender Husten schüttelte ihn.
    »Er ist es!«
    »Wie können Sie sich da so sicher sein?«
    »Er ist es, das sage ich Ihnen! Sehen Sie doch selbst! Oh, mon dieu! « Und damit versank er in einem neuerlichen Hustenanfall und bedeckte Mund und Nase mit einem Taschentuch. Ich ließ ihn schlaff an der Wand stehen, nahm die Laterne und kletterte selbst auf den unteren Katafalk.
    Bei dem Anblick, der mir entgegenschlug, will ich nicht länger verweilen, obwohl er selbst in einem so hartgesottenen Seemann wie mir einen frisson auszulösen vermochte. Der Sarg enthielt die Überreste eines hochgewachsenen Mannes im Zustand entsetzlicher Verwesung; die Gesichtszüge waren vollkommen ausgelöscht. Und dennoch war Ponelle in seiner Identifikation nicht in die Irre gegangen, wie die Überfülle roten Haars bewies, das nach Garniers Tod weitergewachsen war. Aufgrund seiner Farbe hätte der Architekt gewiß Aufnahme in der Liga Rothaariger Männer gefunden. *
    Ich trat zurück und schloß bestürzt die Augen.
    »Es ist unbegreiflich.«
    »Was ist unbegreiflich? Daß ein Mann in seinem eigenen Sarg liegt? Können wir jetzt endlich von hier

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