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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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weggehen?«
    »Einen Augenblick noch.« Ich konnte meine Gedanken nicht in Worte fassen, Watson. Ich war mir so sicher gewesen! Mein Verstand, dieses wichtigste Instrument meiner Arbeit, auf das ich mich seit so langer Zeit schon verließ und worauf ich verzeihlicherweise so stolz war, hatte versagt. Wie betäubt saß ich in der Gruft, ohne mich um die unversöhnliche Härte des Bodens, auf dem ich hockte, zu scheren. Wie es meine Gewohnheit ist, sprach ich laut, um meine Gedanken besser ordnen zu können.
    »Man muß das Unmögliche ausschließen! Die einzige Erklärung dafür, daß ein Mann sich so in den Unterbauten dieses Gebäudes bewegen kann, ist die, daß er es selbst entworfen haben muß. Nur so kann man sich seine überlegene und einzigartige Kenntnis der Örtlichkeiten erklären. Er hatte bereits beim Entwurf des Gebäudes seine besonderen Bedürfnisse im Sinn.«
    Ponelle sah mich merkwürdig an und ließ sich an der gegenüberliegenden Wand zu Boden sinken.
    »Ist das Ihre Theorie?«
    »Zeigen Sie mir eine bessere«, forderte ich ihn mit einiger Verbitterung heraus. Er starrte mich weiter an. »Was ist los?«
    »Nun«, begann er zögernd, »wenn Sie nach dem Architekten suchen, der die Opernkeller entworfen hat, haben Sie hier den falschen Mann.«
    »Was?«
    »Das war nicht Garnier. Das war sein Assistent.«
    » Was? «
    Er nickte eifrig und machte es sich, während ich ihn mit offenem Mund anstarrte, bequem.
    »Natürlich. Er war der wahre Genius hinter den Plänen zu den Untergeschossen. Er war derjenige, der sich die Trockenlegung des Sumpfes ausgedacht und den See geplant hat und so weiter. Garnier hat das eigentliche Theatergebäude gebaut. Aber es war sein Assistent, der den Rest gemacht hat.«
    »Ikarus.«
    »Was?«
    »Der Sohn und Assistent von Daedalus. Sind Sie absolut sicher bei dem, was Sie da sagen?«
    »Absolut. Er hat sich ausgedacht, wie das Fundament der Oper gebaut werden sollte. Ein großer Mann mit einem großen Lachen. Wir Gassenkinder haben ihn angebetet. Aber auch von ihm werden Sie wohl kaum irgendwelche Informationen bezüglich des Gebäudes bekommen.«
    »Tot?«
    »Es hat einen Einsturz gegeben, im Jahre …« Er kratzte sich am Kopf und versuchte, sich zu erinnern. »1874, glaube ich. Eine Senkung des Bodens unter der Rue Gluck. Man arbeitete gerade an einem Tonnengewölbe aus Backstein über dem See. Der arme Mann wurde unter mehreren Tonnen von nassem Beton und Steinen begraben. Und dabei stand die Oper so kurz vor der Vollendung«, fügte er hinzu und schüttelte bei der traurigen Erinnerung den Kopf.
    »Begraben!« Jedesmal, wenn meine geniale Theorie beinahe auf eigenen Füßen stehen konnte, wurde sie von irgendwelchen neuen Beweisen zu Fall gebracht. »Warten Sie mal einen Augenblick. Hat man seine Leiche gefunden?«
    »O ja, ein paar Wochen später hat man sie aus dem See gezogen. Ich glaube, es war kein schöner Anblick. Schlimmer als das, könnte ich mir denken.« Er wies mit dem Kopf auf den offenen Katafalk über mir.
    Ich wußte, daß ich auf der richtigen Spur war, Watson, jede Faser meines Herzens sagte mir das, und doch hatte man die Leiche des Mannes gefunden. Als ich solchermaßen wieder einmal mit meiner mageren Theorie an einem toten Punkt angelangt war, begann es mir plötzlich erneut zu dämmern.
    »Haben Sie nicht neulich erzählt, daß man zu Zeiten der Pariser Kommune die Leichen in den Sumpf geworfen hat – zu der Zeit, als die unvollendete Opéra noch als Gefängnis benutzt wurde?«
    »Gewiß«, stimmte Ponelle mir zu. Dann öffnete er den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen. »Aber Sie glauben doch nicht …?«
    »Wenn eine Leiche nur lange genug im Wasser gelegen hat, haben die Kräfte der Verwesung sie bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die eine Leiche sieht dann kaum anders aus als die andere. Möchten Sie vielleicht ein Sandwich?«
    Ich zog eins aus der Tasche und reichte es ihm.
    Ponelle, der nun in Gedanken ganz bei meiner Theorie war, vergaß sein Entsetzen und sein Mißtrauen und gab nun seiner zwanghaften Neugier nach – und seinem Appetit. Er nahm das angebotene Sandwich, während ich die Laterne öffnete, und bei dieser schummrigen Beleuchtung stärkten wir uns erst einmal. Nur die Salven der Regentropfen, die auf das Blechdach über uns schlugen, durchbrachen die Stille.
    »Erzählen Sie mir etwas von diesem Assistenten. Was haben Sie noch gesagt, wie war sein Name?«
    »Ich habe gar nichts gesagt, denn wir Kinder

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