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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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kannten seinen Namen nicht.«
    Ich schloß enttäuscht die Augen.
    »Es war nicht zufällig Nobody?«
    »Nobody? Was für ein Name ist das denn?«
    »Ein englischer.«
    »Oh, ich verstehe.«
    Ich hörte, wie er tief Luft holte und bei dem Versuch, mir zu helfen, die Lippen spitzte.
    »Ich glaube nicht. Nobody.« Er probierte den Namen laut aus, machte dann aber gleich darauf ein verneinendes Geräusch, das wahrscheinlich mit einem Kopfschütteln einherging. »Sagt mir gar nichts.« Ein weiterer Tiefschlag, obwohl ich ihn bereits halbwegs erwartet hatte. »Es tut mir leid. Wir haben ihn einfach nur Orpheus genannt.«
    Ich öffnete die Augen.
    »Orpheus? Warum denn das?«
    »Oh, er war ganz verrückt nach Musik. Die Arbeit an der Opéra war für ihn wie ein Traum, der endlich wahr wurde. Er pfiff und sang, während er sich über die Gerüste bewegte so glücklich und zuversichtlich wie ein Seiltänzer im Zirkus, der ohne Netz seine Kunststücke aufführt. Er hatte die schönste Stimme, die man sich nur denken konnte.« Als ihm noch etwas anderes einfiel, schnipste er mit den Fingern. »Seine zweite Leidenschaft war Mythologie. Das war der andere Grund, warum wir ihn Orpheus nannten. Zur Mittagszeit saß er auf einem Dachsparren oder einem Gerüst und erzählte uns Kindern Geschichten über den Trojanischen Krieg und ähnliches von Homer. Der Name Orpheus schien seine beiden Leidenschaften gleichermaßen abzudecken.«
    Ich holte tief Luft, bevor ich es wagte, meine nächste Frage zu stellen. »Seine Stimme«, sagte ich leise. »Ein Baßbariton?«
    Er sah mich erstaunt an.
    »Woher wußten Sie das?«
    Ich sagte nichts. Seine Augen weiteten sich noch mehr.
    »Wollen Sie damit sagen …? Aber Sie können doch nicht meinen …«
    »Vielleicht war es der Schock, bei lebendigem Leibe begraben zu werden, der seinen Verstand beeinträchtigt hat. Aber eins steht fest: Er hat den Einsturz überlebt. Und er hat es seither vorgezogen, in der Opéra zu leben, ohne sich den Menschen zu zeigen.«
    Ich konnte die Räder in Ponelles Gehirn, wie sie schwerfällig zu mahlen begannen, zwar nicht sehen, vermeinte jedoch beinahe, sie zu hören. Er versuchte nach Kräften, das, was ich gesagt hatte, zu begreifen. Ich hörte, wie er das Papier, in das sein Sandwich eingewickelt war, zusammenknüllte.
    »Aber warum? Warum zeigt er sich nicht?«
    »Ich gestehe, ich habe nicht die geringste Ahnung. Zur Zeit weiß ich noch nicht genug, um diese Frage beantworten zu können. Ich kann es nur als ein Merkmal seines geistigen Zusammenbruchs bezeichnen. Die Leute, die ihn gesehen haben, sprechen einmütig von seiner Häßlichkeit. War Orpheus häßlich? Oder auf irgendeine Weise entstellt?«
    »Im Gegenteil. Er war ein stattlicher, gutaussehender Mann. Die Damen hatten eine ungeheuere Schwäche für ihn.«
    Ich schüttelte den Kopf, unfähig, mir dieses Phänomen zu erklären.
    »Vielleicht ist er nur in der Vorstellung der Menschen so schrecklich«, fuhr Ponelle fort, wobei er genau so sehr mit sich selbst sprach wie mit mir. Offensichtlich erinnerte er sich an Belas Theorie über die Schöne und das Biest und daran, daß Frauen im allgemeinen das schreckliche Ungeheuer seiner wohlgestalten Reinkarnation vorzogen.
    Ich sagte nichts, während der Regen weiter periodisch auf das Dach über uns trommelte. Plötzlich schnipste ich mit den Fingern.
    »Nein, er ist ein Ungeheuer, soviel steht fest, und es war der Einsturz, der ihn dazu gemacht hat. Wie langsam ich doch geworden bin, wie eingerostet, Ponelle!«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ach nichts, wir Polizisten sind nur immer äußerst selbstkritisch. Aber nehmen Sie mein Wort darauf, Orpheus ist bei diesem Unglück irgendwie entstellt worden. Das ist der Grund, warum er die Oper niemals verläßt oder sich zeigt.«
    Es dauerte einen Augenblick, bevor Ponelle diesen Gedanken ganz erfaßt hatte.
    »Aber halten Sie so etwas denn wirklich für möglich?«
    »Im Augenblick«, ich warf die Hände in die Höhe, »ist es die reinste Vermutung. Das Ganze ist ein unbewiesenes Theorem. Lassen Sie uns für den Augenblick davon ausgehen, daß Orpheus sich ein privates Königreich im Innern der Oper erbaut hat, und zwar mittels einer Übereinkunft mit der Direktion, die ihn finanziert. Er lebt schon seit Jahren ungestört und in Frieden in seinem Bau. Alles lief problemlos bis vor drei Monaten, als er einen jungen Sopran hörte und später auch erblickte.«
    »La Daaé?«
    »Er hat sich in sie verliebt, und wehe

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