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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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vom Boulevard Ménilmontand lag. Es war fast fünf Uhr, und es nieselte leicht. Bevor der junge Mann jedoch seine Meinung ändern konnte, nahm ich ihn am Arm.
    »Führen Sie mich bitte ein wenig herum, und seien Sie so nett, daran zu denken, daß ich die Präfektur repräsentiere.«
    »Warum wenden Sie sich dann in dieser mysteriösen Angelegenheit nicht an dieselbe?«
    »Das würde eine ganze Menge Papierkram und Aufsehen mit sich bringen, und beides kann ich im Augenblick nicht gebrauchen. Später kann es natürlich durchaus notwendig sein, alle Diskretion fahren zu lassen.«
    Er schien sich für den Augenblick mit dieser Erklärung zufriedenzugeben, und nachdem er noch einen finsteren Blick auf den bleiernen Himmel geworfen hatte, führte er mich nach rechts. Der Friedhof war riesig, eine wahre Stadt der Toten, eingeschmiegt in Hügel und Täler und durchkreuzt von einem scheinbar endlosen Mosaik sich windender Straßen und Miniaturboulevards, alle besetzt von winzigen Gebäuden, den eleganten Gruften der Verstorbenen.
    »Hier bekommt man eine Gänsehaut«, murmelte Ponelle unglücklich.
    »Haben Sie etwas gegen Friedhöfe?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Ich bin nicht abergläubisch, wenn es das ist, was Sie meinen. Das hier war der Schauplatz des letzten Gefechts der Kommune vor zwanzig Jahren. Zwischen eben diesen Gräbern haben sich die widerwärtigsten Kämpfe abgespielt, und viele dieser Grabstätten waren von Toten bedeckt statt anders herum. Die letzten hundertfünfzig Überlebenden wurden hier an eine Mauer gestellt und erschossen. Anschließend hat man sie auf der Stelle in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt. Es muß hier irgendwo sein.« Er schauderte bei dem Gedanken. »Möchten Sie sehen, wo Garnier liegt?«
    »Ich habe es nicht besonders eilig. Erzählen Sie mir mehr über diesen Ort«, wies ich ihn an, denn mir war klar, daß ich ihn so lange von meinem eigentlichen Vorhaben ablenken mußte, bis ich nicht mehr umhin konnte, ihn einzuweihen.
    »Was möchten Sie gern wissen?«
    »Alles. Wer war Père Lachaise?«
    Wieder zuckte er die Achseln.
    »Er war der Beichtvater von Louis XIV. und der Schutzpatron dieses Friedhofs. Der Friedhof war bis zu ihrer Vertreibung im Besitz der Jesuiten. Die Stadt hat ihn irgendwann gegen 1800 erworben. Aber ich bin kein Experte, was das betrifft.«
    »Ganz im Gegenteil, mein lieber Junge. Wie immer sind Sie ein Quell der Erleuchtung.«
    Wir blieben vor der Krypta von David stehen, dem feurigen Maler und Patrioten der Revolution. Ganz in der Nähe entdeckte ich das Grab von Géricault, Vielleicht hatte man hier wie in Westminster Abbey die Toten nach ihren Berufen zusammengelegt?
    »Ich glaube nicht«, meinte mein Führer in neutralem Ton.
    Während wir weiter in südwestlicher Richtung gingen, kamen wir an der Grabstätte Molières vorbei, auf die ich meinen jungen Freund eigens aufmerksam machte.
    »Es wird langsam dunkel, und sie werden den Friedhof bald schließen«, war seine einzige Antwort. »Außerdem bin ich naß bis auf die Haut.
    »Und sehen Sie mal, hier liegt Hugo!« rief ich aus. »Es sieht so aus, als hätten Sie die Schriftsteller zusammengelegt, genauso wie die Maler.« Mit solchem Geplänkel brachte ich die Zeit zu, und ich mußte meine Überraschung nur zur Hälfte spielen, als ich den Grabstein von Beaumarchais und den des armen Maréchal Ney entdeckte. Es war wirklich ein außerordentlicher Friedhof.
    Ich zündete mir eine Pfeife an und drehte den Kopf nach unten, um den Tabak vor der Nässe zu schützen.
    »Das ist die Stelle, an der die Kommunarden zu Tode gekommen sind«, bemerkte Ponelle mürrisch und wies mich auf eine Gedenktafel hin, die über einem Massengrab stand. In der Ferne hörte ich eine Glocke schlagen. Dieses Geräusch schien meinen Begleiter zu erleichtern. »Kommen Sie, wir müssen gehen. Sie schließen gleich. Wir müssen ein andermal zurückkommen, um Garnier zu finden.«
    »Seien Sie still. Wir gehen nirgendwohin.«
    Er sah mich durch den Regen hindurch mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck an, den ich bei anderer Gelegenheit überaus komisch gefunden hätte.
    »Nirgendwohin. Was meinen Sie damit?«
    »Ich meine, daß ich die Absicht habe, das Grab von Garnier noch heute abend zu sehen. Bleiben Sie hinter diesem Grabstein von Murger * stehen, und rühren Sie sich nicht vom Fleck, bis ich es Ihnen sage.«
    Mit einem sanften Stoß drängte ich den erstaunten Ponelle in ein Versteck und zog meine Uhr hervor. Wie sehr ich mir

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