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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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wieder seine eigenen Schwächen).
    St. Bartholomews muß als eines der ältesten Krankenhäuser der Welt gelten. Das Gebäude aus dem zwölften Jahrhundert war auf römischen Grundmauern errichtet worden. Es hieß, daß der Hofnarr Heinrichs I., Rahere, auf einer Pilgerfahrt nach Rom erkrankte und gelobte, im Falle seiner Genesung eine mächtige Kirche in London zu bauen, und daß er dieses Gelübde erfüllt habe. * Ich weiß nicht, ob die Legende wahr ist, aber Bart’s war zunächst eine Kirche und blieb es auch, bis Heinrich VIII. das Gebäude im Namen der Krone annektierte und dann (wie überall) die ekklesiastischen Teile zerstören und das Krankenhaus selbst nur leicht verändern ließ. Wenig mehr als zwanzig Jahre, bevor ich in Bart’s studierte, war Smithfield Market gleich nebenan – der Fleischgroßmarkt mit dem Schlachthaus –, und der Gestank der Tierkadaver erstickte, so erzählte man sich, jeden anderen Geruch meilenweit im Umkreis. Zu meinem Glück waren Markt und Schlachthaus verlegt worden, bevor ich mein Studium begann, und da, wo einstmals Todesschreie erklungen und das Blut klebrig im Rinnstein geflossen war, standen jetzt eine Reihe stattlicher Gasthäuser und Geschäfte. Ich selbst bin nun seit fünfzehn Jahren nicht mehr dort gewesen, aber es hat sich nicht viel verändert, wie ich höre.
    An jenem 25. April, als ich in meiner Droschke das Portal des alten Gebäudes passierte, kümmerte ich mich allerdings wenig um seine historischen Ursprünge oder um das Durcheinander architektonischer Ergänzungen und Verzierungen, die das Auge bald erfreuen und bald beleidigen. Ich bezahlte den Droschkenfahrer und begab mich sofort in die Pathologische Abteilung, um Stamfords habhaft zu werden.
    Ich mußte ein wahres Labyrinth von verschlungenen Korridoren durchqueren, und mehrmals blieb mir nichts anderes übrig, als nach dem Weg zu fragen, so lange war es her, daß ich in diesem Irrgarten zu Hause gewesen war. An Stelle des Gestanks von Smithfield Market drangen einem die ätzenden Karbol- und Alkoholdämpfe in die Nase. Aber die meine war an diese ständigen Begleiter des Mediziners gewöhnt. Allerdings waren sie hier in Bart’s von höchster Konzentration.
    Stamford, so stellte sich heraus, hielt gerade eine Vorlesung, und ich sah mich genötigt, einen der Sitze im Hintergrund des Hörsaals einzunehmen, um das Ende des Vortrags abzuwarten. Ich war so sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt, daß es mir schwerfiel, mich auf seine Ausführungen zu konzentrieren – ich glaube, es ging um den Blutkreislauf, aber beschwören möchte ich es nicht. Und doch ist die Szene in meinem Gedächtnis eingeprägt: Ich sah auf ihn hinunter, wie er da auf dem Podium stand, als ob es ihm gehöre. Und ich sann über die Zeit nach, die vergangen war, seit er und ich auf jenen Bänken gesessen hatten. Damals hatten wir einem anderen hoch geachteten alten Griesgram gelauscht, der die gleichen Fakten in unsere Schädel zu hämmern versuchte. Und siehe da, begann Stamford nicht schon ganz so auszusehen wie jener alte Professor? Wie hieß er doch noch?
    Nach der Vorlesung ging ich nach vorn, erwischte ihn an der Tür und sprach ihn an.
    »Gütiger Himmel, das ist ja Watson!« rief er und schüttelte meine Hand aus allen Kräften. »Was in aller Welt bringt dich gerade heute hierher? Hast du meine Vorlesung gehört? Ich wette, du hast nicht geglaubt, daß ich all diesen Blödsinn noch im Kopf habe, oder?«
    So schwatzte er noch für einige Minuten, nahm meinen Arm und führte mich durch weitere labyrinthische Gefilde in sein Büro. Es war geräumig, aber überladen mit all jenen Gegenständen, die einer braucht, der gleichzeitig Arzt und Dozent ist. Stamford war als junger Mann immer vergnügt gewesen, und es freute mich, daß er noch genauso unbekümmert drauflos schwatzte wie früher. Er war mit Anmut älter geworden, und obwohl er schlanker wirkte, hatte sein Gesicht den gutgelaunten Ausdruck von damals behalten. Auch die Hetze des Berufs bekam ihm gut – er konnte sich darüber lustig machen und war doch eingespannt genug, um seiner Neigung, ›clever‹ zu sein, wie er es nannte, nicht ganz zu verfallen.
    Ich ließ ihn eine gute Weile weiterschwafeln, berichtete über mich selbst, meine Ehe, meine aufstrebende Praxis und dergleichen mehr und beantwortete, so gut es eben ging, die unvermeidlichen Fragen nach Holmes.
    »Wer hätte gedacht, daß ihr beide euch so fein zusammen machen würdet?« frohlockte er

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