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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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diese … diese Verfolgung zu beenden, dann habe ich keine Wahl. Ich muß die Sache meinem Rechtsanwalt übergeben.«
    »Das wird sich erübrigen«, erwiderte ich schnell, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich es verhindern sollte.
    »Das hoffe ich auch, von ganzem Herzen«, seufzte er, »darum habe ich Sie ja aufgesucht.«
    »Meinem Freund geht es gesundheitlich nicht gut«, antwortete ich vorsichtig. »Diese Handlungen entsprechen nicht seinem normalen Verhalten. Würden Sie ihn in gesundem Zustand kennen –«
    »Aber das tue ich«, unterbrach mich der Professor zu meinem äußersten Erstaunen.
    »Sie kennen ihn?«
    »Allerdings kenne ich ihn. Und was für ein reizender Junge Master Sherlock war.«
    »Master Sherlock?«
    »Aber ja. Ich war sein Privatlehrer – in Mathematik.«
    Ich starrte ihn mit offenem Munde an. Seinem Mienenspiel konnte ich entnehmen, daß er angenommen hatte, ich wüßte dies. Ich überzeugte ihn vom Gegenteil und bat ihn, mir mehr zu erzählen.
    »Da gibt es nicht viel zu berichten.« Der weinerliche Ton in seiner Stimme verstärkte sich unangenehm. »Bevor ich nach London kam – das war vor Jahren, nach meinem Studium –«
    »Sie haben nicht vielleicht eine Arbeit über die Binomische Theorie geschrieben?« unterbrach ich ihn.
    Er starrte mich an.
    »Selbstverständlich nicht. Wer hat dieser Tage schon etwas zur Binomischen Theorie zu sagen? Und ich schon gar nicht.«
    »Entschuldigen Sie. Bitte fahren Sie fort.«
    »Wie gesagt, ich verließ die Universität und nahm eine Stelle als Mathematiklehrer im Haus des Squire Holmes an. Ich unterrichtete Master Mycroft und Master Sherlock –«
    »Bitte vergeben Sie mir, wenn ich noch einmal unterbreche«, bemerkte ich in höchster Erregung, denn Holmes hatte während der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft niemals von seiner Familie gesprochen. »Wo war das?«
    »Nun, natürlich auf dem Familiensitz, in der Grafschaft Sussex.«
    »Die Familie stammte aus Sussex?«
    »Ursprünglich nicht. Das heißt, der Holmes-Clan stammte wohl dort her, aber der Squire war ein jüngerer Sohn, der von Rechts wegen keine Chance hatte, den Besitz zu erben. Er und seine Familie lebten in North Riding – in Yorkshire –, dort wurde Master Mycroft geboren. Dann starb der ältere Bruder als Witwer ohne Erben, und Master Sherlocks Vater zog auf den alten Familiensitz.« *
    »Aha. Und dort trafen Sie Holmes zuerst?«
    »Ich unterrichtete beide Jungen«, erwiderte Moriarty mit großem Stolz, »und es waren beides brillante Burschen. Ich wäre gerne länger dort geblieben, aber dann –«, er zögerte, »dann kam die Tragödie.«
    »Tragödie, was für eine Tragödie?«
    Wieder warf er mir einen erstaunten Blick zu.
    »Wissen Sie denn nicht?«
    »Wissen? Was soll ich denn wissen, Mensch? Um Himmels willen, so reden Sie doch.«
    Ich saß vor lauter Aufregung auf der Stuhlkante. All dies war mir vollkommen unbekannt, und ich vergaß vor lauter Neugier auf den Holmes der Vergangenheit beinahe den Holmes der Gegenwart und die Schwierigkeiten, in denen er sich befand. Jedes Wort, das der kleine Mann hervorbrachte, versetzte mich in neues Staunen.
    »Wenn Master Sherlock Ihnen nichts davon gesagt hat, dann sollte ich wohl nicht –«
    »Aber, hören Sie –«
    Ich konnte ihn nicht umstimmen. Seiner Ansicht nach unterlag er einer Art Schweigepflicht, und es gelang mir mit all meiner Überredungskunst nicht, ihn davon abzubringen. Je mehr ich ihn drängte, desto zurückhaltender wurde er, bis er schließlich ohne länger auf mein Zureden zu hören, aufstand und sich nach seinem Spazierstock umsah.
    »Ich habe wirklich alles gesagt, was zu sagen ist«, beharrte er und vermied es, mir in die Augen zu sehen, während er nach dem Stock suchte. »Sie müssen mich nun entschuldigen – ich kann und will nicht indiskret sein. Ich habe Ihnen so viel mitgeteilt, wie ich verantworten kann, und ich überlasse es Ihnen, dieses – dieses Dilemma zu lösen.«
    Er blieb dabei, und das mit einer Bestimmtheit, die ich ihm kaum zugetraut hätte. Sein Drang, von mir fortzukommen, war plötzlich stärker als seine Schüchternheit. Er verabschiedete sich und überließ mich meinen Überlegungen.
    Was die vielversprechenden, obskure Tragödien verheißenden Andeutungen über Holmes’ Vergangenheit betraf, so hatte ich das Gefühl, daß dem Professor – einem offensichtlich übertrieben sensiblen Gemüt – womöglich etwas tragisch erschien, was ich selbst vielleicht nur als

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