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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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der Zug in den noch dunklen Morgenstunden Frankreich durchratterte, »dann bleibt er einfach stehen. Da er bisher nicht angehalten hat, können wir wohl mit Sicherheit annehmen, daß er die Spur nicht verloren hat. Da der Duft – jedenfalls außer Haus – nicht häufig zu finden ist, können wir außerdem unterstellen, daß es sich um dieselbe Spur handelt und nicht um ein Faß voll Vanille, das in den Weg geraten ist.«
    Ich nickte schläfrig und versuchte, meine Augen auf den Groschenroman zu fixieren, den ich in Paris erworben hatte; aber bald übermannte mich der Schlaf.
    Als ich erwachte, war es beinahe Mittag. Ich war mit Holmes’ Reisepelerine zugedeckt, meine Beine waren auf dem Sitz ausgestreckt. Mein Begleiter saß mir gegenüber wie zuvor und blickte pfeiferauchend aus dem Fenster.
    Er wandte sich mir mit einem Lächeln zu. »Haben Sie gut geschlafen?« erkundigte er sich.
    Ich erwiderte, ich sei – abgesehen von einem steifen Hals – durchaus erfrischt, und dankte ihm für den Mantel. Dann befragte ich ihn nach unseren Fortschritten.
    »Wir haben zweimal angehalten«, teilte er mir mit, »einmal an der schweizerischen Grenze und einmal in Genf, fast eine Stunde lang. Wenn man Toby Glauben schenken darf, hat Moriarty den Zug nicht verlassen.«
    Toby machte also – wie ich ja wußte – seinem Ruf für Unfehlbarkeit alle Ehre. Ich erhob mich, ging zum Waschraum, rasierte mich und folgte Holmes in den Speisewagen. Es gab einiges Hin und Her wegen des Hundes, wie bereits an jeder Grenze, aber Holmes löste das Problem, indem er dem Kellner sowohl Toby als auch etwas Kleingeld überreichte, das er in Paris besorgt hatte, und ihn bat, das Tier mit Abfällen aus der Küche zu füttern. Dann ließen wir uns zum Mittagessen nieder. Es beunruhigte mich, daß Holmes weniger Appetit zu haben schien denn je. Ich enthielt mich aber auch dieses Mal jeden Kommentares, und so verging der Tag. Auf Genf folgte Bern und auf Bern Zürich. Auf jedem Bahnhof wiederholte sich das Ritual des Bahnsteigspaziergangs, und da das Resultat jedesmal negativ war, kehrten Holmes und ich mit zunehmenden Zeichen der Verwirrung in unser Abteil zurück. Holmes kam jedesmal zu demselben logischen Schluß, der mir überzeugend genug erschien.
    Nach Zürich kam die deutsche Grenze, dann München und Salzburg. Und noch immer fand sich keine Spur des Vanille-Geruchs auf dem Bahnsteig.
    Ich starrte den ganzen Nachmittag und noch in der Dämmerung aus dem Fenster, fasziniert von der Szenerie – so unterschiedlich von unserer eigenen – mit ihren bilderbuchartigen Bauernhäuschen und den pittoresk gekleideten Einwohnern in ihren spitzen Hüten, Dirndln und Lederhosen. Es war sonnig und warm. Ich war erstaunt, daß der Schnee auf den gewaltigen Bergen über uns bei solchem Wetter nicht schmolz, und machte eine Bemerkung darüber zu Holmes.
    »Oh, er schmilzt schon«, erwiderte er und warf einen verkniffenen Blick durchs Fenster auf die weißen Gipfel. »Und dann gibt es Lawinen.«
    Das war kein erfreulicher Gedanke, aber es war unmöglich, ihm nicht nachzuhängen, nachdem er einmal ausgesprochen war. Wurden nicht Lawinen des öfteren durch Lärm ausgelöst – und verursachten wir beim Passieren dieser empfindlichen Gebilde nicht ein erschreckendes Getöse? Was, wenn unser brutales Vorwärtsdonnern das Beben schaffte, das uns begraben würde?
    »Sie haben recht, Watson. Der Gedanke stimmt einen demütig.«
    Ich blickte auf meinen Gefährten, der im Begriff war, seine Pfeife auszuklopfen. Es war überflüssig, ihn zu fragen, wie er meine Gefühle erraten hatte, ich konnte seine Gedankengänge ohne Schwierigkeit nachvollziehen.
    »Ja, sehen Sie es sich nur an«, kommentierte er meinen aufwärtsgerichteten Blick. »Wie unbedeutend scheint unser Handeln, verglichen mit dem der Natur, nicht wahr?« fuhr er mit melancholischer Miene fort. »Es könnten ein Dutzend Genies in diesem Zug reisen – jedes von ihnen im Besitz eines Geheimnisses, das der Menschheit unschätzbare Dienste erweisen könnte – und doch kann unser Schöpfer mit einer Geste seines kleinen Fingers diese fernen Gipfel auf uns niederstoßen, und wo wäre die Menschheit dann, Watson? Wohin führt das alles?«
    Er schien unter einer seiner Depressionen zu leiden, deren Zeuge ich nicht zum erstenmal war. Er versank in diesen Depressionen schneller und gewisser, als der Schnee und das Eis, von denen er sprach, ihn hätten begraben können, und ich konnte nichts dagegen

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