Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud
dieses entsetzliche Verlangen!«
Ich erhob mich halb von meinem Stuhl in der vagen Absicht, ihm Mut zuzusprechen, ließ mich aber schnell wieder sinken, als mir die Zwecklosigkeit, ja die Lächerlichkeit einer solchen Geste klar wurde.
Dr. Freud kam langsam hinter seinem Schreibtisch hervor und legte seine schmale Hand auf die Schulter meines Freundes.
»Ich kann Sie von diesem Verlangen erlösen – vorübergehend. Setzen Sie sich bitte.« Er zeigte auf Holmes’ Stuhl und setzte sich selbst auf die Schreibtischkante. Holmes gehorchte schweigend. Er saß und wartete in einer Haltung, die seinen Pessimismus ausdrückte.
»Wissen Sie etwas über Hypnose?« fragte Freud.
»Ein wenig«, erwiderte Holmes lustlos. »Wollen Sie mich bellen und auf allen vieren herumkriechen lassen?«
»Mit Ihrer Kooperation und Ihrem Vertrauen«, sagte Freud, »kann ich Ihr Verlangen für einige Zeit reduzieren. Taucht es wieder auf, werde ich Sie erneut hypnotisieren. Auf diese Weise können wir die Sucht künstlich eindämmen, bis der physische Entziehungsprozeß beendet ist.« Er sprach sehr langsam und bemühte sich angestrengt, Holmes’ steigende Panik und Scham zu mildern.
Holmes sah ihn eine Weile lang prüfend an, dann stimmte er mit einem abrupten Achselzucken und betont gleichgültiger Miene zu. Dr. Freud hielt, wie mir schien, einen lauten Stoßseufzer zurück, ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu. Der Raum versank im Halbdunkel. Dann kehrte der Doktor zu Holmes zurück, der kein Glied gerührt hatte.
»Und nun bitte ich Sie«, sagte Freud, während er sich ihm gegenüber niederließ, »sich aufrecht zu halten und Ihren Blick auf dies hier zu richten.«
Aus seiner Weste zog er die Uhrkette, die ich zuvor bemerkt hatte, und begann, ihr Ende langsam hin und her schwingen zu lassen.
Teil Zwei
DIE LÖSUNG
KAPITEL ACHT
Ein Urlaub in der Hölle
Professor Moriartys Widerstand gegen das Ansinnen, in Tobys Begleitung die Rückreise anzutreten, brachte ein wenig Situationskomik in eine ansonsten schreckliche Woche. Er warf einen Blick auf den Hund – den ich in sein Hotel am Graben gebracht hatte – und verkündete, er sei ein gutwilliger Mensch (sonst wäre er ja nicht hier in Wien), aber selbst seiner Großzügigkeit seien Grenzen gesetzt.
»Dies«, so sagte er und starrte über seine Brille hinweg auf Toby, der die Musterung mit seinem eifrigen und zu allem bereiten Blick erwiderte, »dies geht zu weit. Ich bin ein geduldiger Mann – am Rande der Verzweiflung, aber dennoch geduldig, Dr. Watson. Ich habe mich nicht mit einem Wort über den Vanille-Extrakt beschwert, der mir ein Paar neue Stiefel völlig ruiniert hat. Aber diese Kreatur werde ich nicht nach London befördern, nicht für Geld und gute Worte.«
Aber ich war nicht zum Spaßen aufgelegt und machte kurzen Prozeß. Wenn er wollte, konnte er Toby im Gepäckwagen reisen lassen, aber er mußte ihn in Pinchin Lane abliefern. Ich machte eine dunkle Andeutung über Mycroft Holmes, und Moriarty gab mit dem üblichen Gewimmer und einigen halb unterdrückten Bemerkungen nach.
Ich hatte Verständnis für seine Klagen, war aber nicht in der Lage, darauf einzugehen. Meine eigenen Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Mein einziger Trost war ein beruhigendes Telegramm meiner Frau, wonach daheim alles zum besten stand. Aber das half auch nicht viel.
Sherlock Holmes’ Versuch, sich aus den Schlingen des Kokains zu befreien, war eine der heroischsten und qualvollsten Kraftanstrengungen, die ich je mitangesehen hatte. Weder in meiner beruflichen noch in meiner persönlichen Erfahrung, im militärischen wie im zivilen Leben, bin ich jemals solch ausgesprochener Folter begegnet.
An jenem ersten Tag war Dr. Sigmund Freud erfolgreich gewesen. Es gelang ihm, Holmes zu hypnotisieren und in einem der nebeneinander gelegenen Räume schlafen zu legen, die er im zweiten Stock des Hauses für uns bereithielt. Sobald Holmes auf dem reichgeschnitzten Bett ausgestreckt lag, zog er mich eifrig am Ärmel. »Schnell«, befahl er, »wir müssen sein ganzes Gepäck durchsuchen.«
Er brauchte mir nicht zu sagen, wonach. Ich nickte, und wir begannen Holmes’ Reisetasche und seine Kleider durchzukämmen. Es widersprach all meinen Grundsätzen, so in die Privatsphäre meines Freundes einzudringen. Aber es ging um einen hohen Einsatz, und ich wischte alle Skrupel beiseite.
Es war nicht schwer, die Flaschen mit Kokain zu finden. Holmes war mit enormen Vorräten nach Wien gereist.
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