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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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Ich fand es nur erstaunlich, daß ich sie im Zug nicht hatte gegeneinanderschlagen hören. Aber um dem vorzubeugen, hatte Holmes sie in das schwarze Samttuch gewickelt, in das sonst seine Stradivari gehüllt war. Ohne mir für schmerzliche Gefühle über die Zweckentfremdung des Tuches Zeit zu lassen, fuhr ich fort, die giftigen Phiolen auszupacken und Dr. Freud zu reichen, der bei einer gründlichen Untersuchung von Holmes’ Anzug und Tweedpelerine noch zwei gefüllte Behälter gefunden hatte.
    »Ich glaube, wir haben alles«, sagte er.
    »Seien Sie nicht so sicher«, warnte ich ihn. »Sie haben es nicht mit einem gewöhnlichen Patienten zu tun.«
    Er zuckte die Achseln und sah zu, wie ich den Pfropfen von einer der Flaschen zog und etwas von der farblosen Flüssigkeit mit dem Finger auf meine Zunge tupfte.
    »Wasser.«
    »Ist es möglich?« Freud probierte den Inhalt einer anderen Flasche und starrte mich entsetzt an. Hinter uns bewegte sich Holmes unruhig im Schlaf. »Wo hat er es nur versteckt?«
    Wir überlegten verzweifelt. Der Schläfer im Hintergrund konnte jeden Moment aufwachen. Das Gift mußte irgendwo hier im Zimmer sein. Wir leerten den gesamten Inhalt der Reisetasche auf dem prächtigen Orientteppich aus und durchsuchten die wenigen Utensilien, die Holmes aus London mitgebracht hatte. Weder in der Wäsche war etwas zu finden, noch in den Schminktöpfen und dem anderen Zubehör seines theatralischen Auftritts kurz vor unserer Abreise. Übrig blieben nur etwas englisches Silbergeld und Noten sowie die üblichen Pfeifen. Die Shagpfeife, die Tonpfeife und die lange Kirschholzpfeife waren mir wohlbekannt. Verstecken konnte man in ihnen nichts. Es fand sich allerdings eine große Kalabasch-Pfeife, die ich nie zuvor gesehen hatte. Als ich sie aufhob, schien sie mir sehr viel schwerer, als ihr Umfang zu rechtfertigen schien.
    »Schauen Sie«, ich entfernte den Meerschaumkopf und drehte den weiten Hals nach unten. Ein Fläschchen fiel heraus.
    »Ich beginne zu begreifen, was Sie meinen«, sagte der Doktor. »Aber wo kann er es noch verborgen haben? Pfeifen sind keine mehr da.«
    Wir starrten einander über die leere Reisetasche hinweg an und streckten im gleichen Moment unsere Hände danach aus. Freud war etwas schneller als ich. Er ergriff die Tasche, hob sie und schüttelte den Kopf.
    »Zu schwer«, murmelte er und übergab sie mir. Ich klopfte vorsichtig den Boden ab. Er klang hohl.
    »Ein falscher Boden«, rief ich aus und begann, die eingesetzte Platte zu entfernen. In wenigen Augenblicken war mir das gelungen, und darunter fanden wir, in alte Londoner Zeitungen verpackt, den eigentlichen Kokainvorrat und die Spritze auf rotem Samt in einem schwarzen Etui.
    Wortlos nahmen wir den Vorrat sowie die Wasserflaschen an uns, legten den falschen Boden und Holmes’ Sachen in die Tasche zurück und gingen zusammen nach oben. Freud zeigte mir ein Waschkabinett im ersten Stock, und hier gossen wir die gesamte Flüssigkeit in ein Becken. Er steckte die Spritze ein und begleitete mich zur Küche, wo das Dienstmädchen, das Paula hieß, mir Toby übergab. Ich machte mich auf den Weg in Moriartys Hotel.
    Hier muß ich die Erzählung unterbrechen und die Stadt beschreiben, in der ich mich befand und in der ich für einige Zeit bleiben sollte.
    Das Wien von 1891 war die Hauptstadt eines Kaiserreiches in den letzten Jahrzehnten seiner Blütezeit. Es war dem London dieser Zeit so ähnlich wie die See der Wüste. London – fast ständig feucht, neblig, übelriechend und mit Menschen bevölkert, die fast alle dieselbe Sprache sprachen – hatte nichts gemeinsam mit dem sonnigen und dekadenten Zentrum des Habsburgischen Reiches. Die Einwohner verständigten sich nicht in einer gemeinsamen Sprache, sondern in einem Sprachengemisch, das, wie sie selbst, aus den vier Himmelsrichtungen der österreichisch-ungarischen Monarchie stammte. Zwar lebten die Angehörigen der unterschiedlichen Nationen meist in voneinander getrennten Stadtvierteln, kamen jedoch an den Grenzen derselben miteinander in Berührung. Slowakische Hausierer, die den modisch gekleideten Wienerinnen ihre handgeschnitzten Waren anboten, eine Schwadron bosnischer Infanterie, die zur Parade der kaiserlichen Truppen auf den Prater zu marschierte, Zitronenhändler aus Montenegro, Scherenschleifer aus Serbien, Tiroler, Böhmen, Kroaten, Juden, Ungarn, die ihrem jeweiligen Handel nachgingen – sie alle gehörten zum Bild eines normalen Wiener Alltags.
    Die Stadt

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