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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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klingt – läßt mich vermuten, daß er Ihr Lehrer war oder daß seine Schriften eine besondere Bedeutung für Sie, und die Entwicklung Ihrer eigenen Ideen hatten. Es versteht sich von selbst«, fuhr Holmes mit derselben didaktischen Formalität fort, »daß nur ein brillanter Kopf in der Lage ist, die Mysterien der Medizin in einer fremden Sprache zu durchdringen, gar nicht zu reden von den vielen verschiedenen Fachgebieten, die die Bücher in dieser Bibliothek enthalten.«
    Er durchwanderte den Raum, als handele es sich um ein Laboratorium, und schenkte uns nur die flüchtigste Aufmerksamkeit, während er seine Vorlesung fortsetzte.
    Freud hatte sich zurückgelehnt und beobachtete ihn. Die Hände hielt er über der Brust gefaltet. Er konnte nicht aufhören zu lächeln.
    »Daß Sie gerne Shakespeare lesen, entnehme ich der Tatsache, daß das Buch verkehrt herum im Schrank steht. Es ist kaum zu übersehen. Und daß Sie es nicht umgedreht haben, läßt mich vermuten, daß Sie es ohnehin bald wieder lesen wollen. Was den russischen Schriftsteller betrifft –«
    »Dostojewski«, half Freud nach.
    »Dostojewski … der Mangel an Staub auf diesem Band – was übrigens auch für Shakespeare gilt – zeigt Ihr beständiges Interesse an diesem Autor. Daß Sie Arzt sind, schließe ich aus dem Diplom, das dort drüben an der Wand hängt. Sie sind mitten am Tage zu Hause und haben offenbar keinen Stundenplan einzuhalten, das heißt, Sie haben keine Praxis. Daß Sie sich von verschiedenen Berufsverbindungen und Berufsorganisationen gelöst haben, zeigen die leeren Stellen an der Wand, an denen früher die Mitgliedsurkunden hingen. Die Farbe in den kleinen Rechtecken ist verblaßt, und der Schmutzrand deutet an, wo sie gehangen haben. Was veranlaßt nun einen Mann, solche Erfolgssymbole zu entfernen? Doch nur, daß er mit diesen Hospitälern, Organisationen und so weiter nichts mehr zu tun hat. Und warum sollte er sie verlassen, da er sich doch der Mühe unterzog, ihnen beizutreten? Es könnte sein, daß ein oder zwei ihn enttäuscht haben, aber es ist unwahrscheinlich, daß die Desillusionierung so komplett auf einen Schlag einsetzte. Deshalb schließe ich, daß sie von Ihnen enttäuscht waren und Ihren Rücktritt gefordert haben. Und warum taten Sie das – noch dazu alle auf einmal, wie man der Wand ansehen kann? Sie leben immer noch unbehelligt genug in der Stadt, in der dies alles vorgefallen ist. Es muß also ein von Ihnen vertretener Standpunkt und nicht etwa ein Verbrechen sein, der Sie in den Augen Ihrer Berufsgenossen diskreditiert hat. Was für ein Standpunkt? Ich habe keine rechte Vorstellung, aber, wie ich schon vorher bemerkte, verrät Ihre Bibliothek einen vielseitigen, wissensdurstigen und brillanten Geist. Ich nehme mir daher die Freiheit, das Vorhandensein einer radikalen Theorie anzunehmen, einer Theorie, die zu fortgeschritten oder zu schockierend für den zeitgenössischen Durchschnittsmediziner ist. Möglicherweise hat diese Theorie etwas mit den Werken Charcots zu tun, der soviel Einfluß auf Sie zu haben scheint. Sicher bin ich dessen nicht. Daß Sie verheiratet sind, kann man unschwer am Ringfinger Ihrer linken Hand ablesen, und Ihr Akzent läßt Ungarn oder Mähren als Herkunftsland vermuten. Ich glaube, ich habe nichts Wesentliches ausgelassen.«
    »Sie sagten, ich besäße Integrität«, erinnerte ihn Freud.
    »Ich hoffe es«, erwiderte Holmes. »Ich unterstellte es, weil Sie sich der Mühe unterzogen haben, die Urkunden dieser Gesellschaften von den Wänden zu entfernen. In Ihrem eigenen Hause hätten Sie sie beibehalten und in aller Stille Kapital daraus schlagen können.«
    »Und meine Liebe zum Kartenspiel?«
    »Ah, das ist noch subtiler, aber ich will Ihre Intelligenz nicht länger beleidigen, indem ich auch das noch erkläre. Ich möchte Sie lieber in aller Ehrlichkeit fragen, was mich hierhergeführt hat. Sicherlich nicht Ihr Wunsch nach einer so elementaren Beweisführung, wie ich sie gerade geliefert habe?«
    »Ich habe Sie schon einmal gefragt«, sagte Freud mit einem immer noch bewundernden Lächeln, »worin sehen Sie den Grund?«
    »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Holmes, in seinen strengen Ton zurückfallend. »Sind Sie in Schwierigkeiten, dann sagen Sie es mir, und ich werde mein Bestes tun, obwohl ich sagen muß, daß ich Ihre Methoden äußerst merkwürdig finde –«
    »Aber nun sind Sie unlogisch«, unterbrach der Doktor ihn liebenswürdig. »Wie Sie so hervorragend

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