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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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»Sein Spiel ist rein offensiv, und außerdem ist seine Rückhand schwach. Haben Sie das bemerkt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Kein Zweifel. Jeder Punkt, den ich ihm abgewonnen habe, war auf seine Rückhand gespielt. Schauen Sie nur gut zu.«
    Das tat ich, und mit mir zweihundert andere gespannte Zuschauer. * Langsam, aber unerbittlich, wendete sich jetzt das Blatt, und Freud gewann Spiel auf Spiel. Sein Gegner begriff zu Anfang nicht, was vorging. Erst beim Stand von 3:3 erkannte er Freuds Strategie und bewegte sich im Bewußtsein seiner eigenen Schwäche immer mehr auf die linke Seite des Platzes, in der Hoffnung, Freuds Taktiken zuvorzukommen. Das brachte ihm ein oder zwei Punkte ein, aber Freud durchschaute seine Absichten und schoß seine Bälle auf die rechte Seitenlinie zurück, wo sein geplagter Gegner sie nicht erreichen konnte.
    Gelang ihm das aber, dann machte Freud sich wieder die schwache Rückhand zunutze, indem er seine Bälle diagonal über den Platz schmetterte. Es war nicht leicht für ihn, aber der junge Mann mit der Narbe war ohne Frage schlimmer dran. Freud zwang ihn in die Defensive und ließ ihn von einer Seite zur anderen rennen, während er selbst fast stillstand. Und der junge Lümmel machte vor lauter Wut Fehler, die er mit mehr Beherrschung nie begangen hätte. Innerhalb einer Stunde beendete Freud den Satz mit einem Schluß-Stand von 6:3.
    Als der letzte Ball weit von dem jungen Mann entfernt im Feld gelandet war, schlenderte Freud gelassen zum Netz.
    »Ist die Ehre gerettet?« fragte er höflich. Ich glaube, der andere wäre ihm an den Hals gesprungen und hätte ihn erwürgt, hätten sich seine Freunde nicht dazwischengeworfen und ihn gewaltsam zurückgehalten.
    Freud badete und zog sich um, ohne etwas zu sagen – abgesehen von einem Dankeswort für meine überschwengliche Gratulationen. Schließlich machten wir uns in die Berggasse 19 auf.
    »Immerhin habe ich wieder einmal Tennis gespielt«, bemerkte er und winkte einer Droschke. »Und ich brauchte nicht einmal auf den Platz zu warten.«
    »Was dieser Mann gesagt hat – über Ihre Theorie«, fragte ich nach einigem Zögern: »Sie behaupten doch nicht allen Ernstes, daß Jungen, daß sie –«
    »Keine Sorge, Doktor. Ich behaupte nichts dergleichen.«
    Ich sank mit einem Seufzer der Erleichterung in die Polster zurück. Freud schien es jedoch nicht zu bemerken.
    Als wir das Haus erreichten, bat Freud mich, Holmes von dem Tennisduell nichts zu sagen. Er wollte meinen Freund mit dem Vorfall nicht beunruhigen, und ich stimmte zu.

    Wir fanden den Detektiv, wo wir ihn gelassen hatten, nämlich über den Büchern im Arbeitszimmer. Er war nicht zum Reden aufgelegt. Daß er überhaupt an etwas Interesse nahm, freute mich. Ich zog mich auf mein Zimmer zurück und dachte über die kuriose Szene im Maumberg nach. Den Namen des jungen Gernegroß hatten wir nicht erfahren, aber sein Gesicht, dieses wilde, böse Gesicht mit der schlimmen Narbe, kam mir den ganzen Nachmittag nicht aus dem Sinn.
    Beim Abendessen schien Holmes wieder in seine frühere Misere zu versinken. Alle Versuche, ihn ins Gespräch zu ziehen, stießen auf einsilbige und unergiebige Erwiderungen. Ich warf Freud besorgte Blicke zu, aber er gab vor, sie nicht zu sehen, und plauderte unbefangen weiter.
    Nach dem Essen entschuldigte er sich für einen Augenblick und kam mit einem großen Paket im Arm zurück.
    »Ich habe hier etwas, das Ihnen vielleicht Freude machen wird, Herr Holmes«, sagte er und überreichte Holmes einen länglichen Kasten.
    Holmes nahm das Paket und hielt es teilnahmslos auf dem Schoß.
    »Ich habe es telegraphisch aus England hierher beordert«, fügte Freud hinzu und ließ sich wieder am Tisch nieder. Holmes sagte immer noch nichts, betrachtete aber das Paket.
    »Kann ich beim Auspacken helfen?« fragte Anna und griff nach der Schnur.
    »Bitte«, erwiderte Holmes und drehte das Paket dem Kinde zu.
    »Vorsicht«, mahnte ihr Vater, als ihre kleinen Finger versuchten, den Knoten zu lösen. »Hier.« Mit einem Taschenmesser durchtrennte er die Schnur, und Anna faltete das Papier auseinander. Ich schnappte unwillkürlich nach Luft, als ich den Inhalt sah.
    »Noch ein Kasten!« rief Anna aus.
    »Laß Herrn Holmes ihn selbst öffnen«, befahl Frau Freud hinter mir.
    »Bitte, tun Sie es«, drängte Anna.
    Ohne eine Antwort zu geben, zog Holmes den Kasten aus der Verpackung. Langsam, aber mit vielgeübter Sicherheit öffneten seine Finger die Schlösser, und er

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