Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud
können Sie dann –«
»Nun«, unterbrach er mich etwas gereizt, »es geht doch hier schließlich um die Kontrolle über eine unendlich produktive und ausgedehnte Munitionsfabrik. Es ist nicht schwierig, daraus zu schließen –« Er brach ab, als er den Butler durch die Halle kommen sah.
»Würden Sie bitte folgen«, sagte der Mann mit einer Handbewegung, »ich werde Sie zur Frau Baronin führen.«
Dies erwies sich auch als notwendig, denn das Haus war wie ein riesiges Labyrinth, so daß wir ohne Beistand den Salon der Dame nie gefunden hätten.
Er war moderner möbliert als die anderen Räume, an denen wir vorbeigekommen waren, aber mit demselben miserablen Geschmack, ganz in protzigem rosa Chintz und mit Spitzendeckchen auf jedem verfügbaren Möbelstück.
Auf einer Couch inmitten dieser rosa Fülle saß – wie ein wundersamer Vogel in seinem Nest – die schöne Frau, die wir am Abend zuvor gesehen hatten. Sie erhob sich, als wir eintraten, und redete uns auf Englisch mit amerikanischem Akzent an.
»Mr. Sherlock Holmes, nicht wahr? Was verschafft mir die –« Sie brach plötzlich ab, ihre Hände fuhren unwillkürlich an ihre Brust, ihre schönen Augen weiteten sich vor Erstaunen, und sie rief: »Guter Gott! Ist das Nora?«
Sie stürzte auf unsere Klientin zu, nahm – ohne weiter auf Holmes und mich zu achten – ihren Arm, führte sie behutsam ans Licht und studierte aufmerksam ihr Gesicht. Unsere Klientin ihrerseits war so nachgiebig und gleichgültig wie immer und duldete die Musterung mit müder Teilnahmslosigkeit.
»Was ist geschehen?« rief die Dame und blickte verwirrt, aber gebieterisch von Holmes zu mir. »Sie ist vollkommen verändert.«
»Sie kennen die Dame?« fragte Holmes ruhig und beobachtete die Baronin dabei scharf.
»Ob ich sie kenne? Aber sicher kenne ich sie. Es ist mein persönliches Dienstmädchen, Nora Simmons. Sie war wochenlang spurlos verschwunden. Guter Gott, Nora, was ist geschehen, und wie bist du nur nach Wien gekommen?«
Ihre Züge drückten Verwunderung und Besorgnis über die Blässe der jungen Frau aus.
»Ich fürchte, sie ist nicht imstande, Ihre Fragen zu beantworten«, bemerkte Holmes. Er löste Nora Simmons (wenn sie es denn war) sanft von der Baronin und führte sie zu einem Sessel. Dann erklärte er der Dame des Hauses in aller Kürze, wie wir ihre Bedienstete gefunden hatten.
»Aber das ist ja ungeheuerlich!« rief die Baronin, als er geendet hatte. »Sie sagen, sie wurde entführt?«
»So scheint es«, erwiderte der Detektiv sachlich. »Habe ich richtig verstanden, daß sie mit Ihnen in Bayern war?«
»Sie war stets bei mir, vom Tag unserer Abreise an – abgesehen von ihren freien Tagen.« Das Gesicht der Baronin hatte vor Entrüstung eine dunkelrote Farbe angenommen. »Dann verschwand sie vor drei Wochen.«
»Am selben Tag, an dem der Baron starb?«
Die Dame errötete noch tiefer und preßte ihre Hände zusammen.
»Ja. Nora war nicht zu Hause, als das Unglück geschah; sie war unten in der Stadt – ich glaube, sie heißt Ergoldsbach. In der allgemeinen Verwirrung wurde sie von niemandem vermißt. Und es war, wie gesagt, ihr freier Tag. Als sie am nächsten Morgen nicht zurückkam, dachte ich, sie habe von der Tragödie erfahren und habe vielleicht aus irgendeinem Grunde Angst bekommen. Sie ist sehr erregbar und nervös, das weiß ich aus Erfahrung.« Sie machte eine Pause. »Sehen Sie, wir standen einander immer sehr nah – sehr viel näher, als es zwischen Herrin und Dienerin üblich ist –, als sie nicht zurückkehrte und kein Wort von sich hören ließ, begann ich mir Sorgen zu machen und informierte die Polizei. Ich hätte es wohl schon eher getan, wenn der Tod meines Mannes mich nicht so erschüttert hätte.«
»Sie sagen, Sie hätten sich Sorgen gemacht. Kam Ihnen denn kein Verdacht?«
»Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Sie war fort –« Die Baronin brach mit einer flatternden Geste hilflos ab. Es war leicht zu sehen, daß allein schon die Erinnerung an den Vorfall sie überwältigte. Aber Holmes gab nicht nach.
»Und es war der Polizei nicht möglich, Ihr Mädchen ausfindig zu machen?«
Die Baronin schüttelte den Kopf, dann ergriff sie impulsiv die Hände der anderen und preßte sie liebevoll.
»Meine Liebe, wie froh ich bin, dich wiedergefunden zu haben!«
»Darf ich fragen, auf welche Weise Ihr Herr Gemahl den Tod fand?« fragte Holmes und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
Wieder errötete die Baronin
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