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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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»daß die Slaters von Rhode Island seit über hundert Jahren der religiösen Sekte der Quäker angehören. Quäker gehen nicht zur Kirche, sondern versammeln sich auf Treffen. Und sie würden auf keinen Fall Wohltätigkeitsarbeit ›in der Pfarrei‹ verrichten. Nein, nein, ganz gewiß nicht«, sagte er und begann aus dem Fenster zu schauen.
    Diesmal konnte ich meine Überraschung nicht verbergen, doch bevor ich Gelegenheit zu einer Entgegnung bekam, ergriff Holmes erneut das Wort, ohne seinen Blick von der vorüberziehenden Landschaft zu wenden.
    »Und mir ist im übrigen eingefallen, wo wir den Grafen von Schlieffen schon einmal gesehen haben.«
    »Graf was?«
    »Von Schlieffen – der Herr, dem wir am Eingang begegnet sind. Sein Bild erschien vor einigen Monaten in der Times * . Haben Sie es nicht gesehen? Wenn ich mich recht erinnere, ist er soeben zum Chef des deutschen Generalstabs ernannt worden.«

KAPITEL DREIZEHN

    Sherlock Holmes entwickelt eine Theorie

    Sherlock Holmes stand auf dem burgunderfarbenen Kaminvorleger im Arbeitszimmer der Berggasse 19 und hatte seine Ellbogen auf den Kaminsims hinter sich gestützt.
    »Laut Testament fällt alles an die neue Baronin«, sagte er.
    Dr. Freud blickte verstimmt von seinen Notizen auf.
    »Wenn Ihnen der Inhalt des Testaments bekannt war, dann hätten Sie mir das sagen sollen«, bemerkte er schroff. »So habe ich eine Patientenvisite versäumt, wie ich Ihnen ja schon vorher sagte. Aber Sie behaupteten, mein Gang auf das Amt sei von überragender Wichtigkeit.«
    Holmes lachte in seiner lautlosen Art und hob mit entschuldigender Geste die Hand.
    »Sie werden mir sicher verzeihen, Doktor. Ich sprach aus Überzeugung, nicht aus Kenntnis. Sie haben Ihren Morgen nicht vergeudet: Die Tatsachen haben meinen Verdacht untermauert. Aber ich schwöre, wäre mein Deutsch fließend genug, dann hätte ich Sie niemals daran gehindert, Ihren Patienten zu sehen. Dr. Watson wird Ihnen bestätigen, daß es nicht meine Gewohnheit ist, ihn ohne guten Grund seiner Praxis zu entreißen. Vergeben Sie mir? … Gut!«
    Dann berichtete er Freud von unserer Exkursion. Freud blickte mißbilligend, als er hörte, wohin wir seine Patientin gebracht hatten, beruhigte sich aber, als ich ihm versicherte, daß weder das Haus noch seine Bewohner den geringsten Eindruck auf sie gemacht hatten.
    »Nun wird es Zeit«, fuhr Holmes fort und nahm, ohne seine Haltung zu verändern, die gräßliche Tonpfeife aus der Tasche, »unsere Fakten zu ordnen und festzustellen, ob sie mit unseren Theorien übereinstimmen.« Er hielt inne, um mit der Feuerzange ein Stück Kohle aus dem Feuer zu nehmen, und zündete damit seine Pfeife an. »Lassen Sie mich Ihnen aber eine letzte Frage stellen, dann ist mein Fall komplett. Was für ein Mann ist Deutschlands neuer Kaiser?«
    »Er ist seit 1888 an der Macht«, warf ich ein. Holmes nickte, löste jedoch den Blick nicht von Freud, der die Frage mit nachdenklicher Miene erwog.
    »Müßte ich ihn mit einem Wort beschreiben, dann würde ich ihn unreif nennen«, sagte er schließlich.
    »Was ist seine politische Linie?«
    »Zur Zeit ist er vor allem mit Sozialgesetzgebung befaßt. Er hat eine Todesangst vorm Sozialismus; und seine Außenpolitik tendiert, soweit ich das von der Zeitungslektüre her beurteilen kann, zur Aggressivität, vor allem gegenüber Rußland – zum Beispiel in der Frage der Besitzrechte in den Balkanstaaten.«
    »Sein Charakter?«
    »Das ist schon schwieriger. Er ist offenbar intelligent, aber erregbar und verliert leicht die Geduld mit seinen Untergebenen. Ich glaube, es war so ein Konflikt, der die Entlassung des Fürsten von Bismarck zur Folge hatte. Der Kaiser liebt militärische Darbietungen – Uniformen, Paraden, Demonstrationen persönlicher Macht. Er –« Freud zögerte mit einem kurzen Lachen.
    »Ja?«
    »Ich habe seit geraumer Zeit meine persönliche Theorie, was den Kaiser angeht.«
    »Ich würde sie sehr gerne hören«, versicherte Holmes höflich, ohne zu zögern.
    »Sie ist nicht sehr subtil«, Freud erhob sich brüsk, als ärgere es ihn schon, daß er seine Theorie erwähnt hatte.
    »Bitte lassen Sie mich beurteilen, wie wichtig sie für meinen Fall ist«, beharrte Holmes. Er lehnte mit zusammengepreßten Fingerspitzen am Kaminsims; die Pfeife, deren Rauch in einer Spirale aufstieg, hing zwischen seinen Zähnen.
    Freud zuckte die Achseln.
    »Sie wissen vielleicht von Bildern oder Berichten, daß der Kaiser einen verkümmerten Arm

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