Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic (German Edition)
selten anders genannt. In seinen Augen ist sie die bedeutendste und wichtigste Vertreterin ihres Geschlechts. Nicht dass er Irene Adler liebte. Sein kalter, präziser, jedoch bemerkenswert ausgeglichener Geist verabscheute alle Gefühle, und das der Liebe vornehmlich. Er war, vermute ich, der perfekteste Denk- und Beobachtungsapparat, den die Welt je gesehen hatte. Als Liebender jedoch wäre er fehl am Platz gewesen. Er machte sich stets in abfälliger Weise lustig über die zarteren Gefühle, die er jedoch gern beobachtete, weil sie auf die Motive von Menschen und ihren Handlungen schließen ließen. Für ihn selbst kamen solche Verirrungen nicht in Frage. Sie hätten sein Denken in Unordnung gebracht. Und doch gab es für ihn eine einzige Frau und diese Frau von mehr als dubiosem Ruf war die vormalige Irene Adler.
Kein Zweifel, dachte Holmes, Watson hatte sich verliebt in die Sängerin und wollte das auf keinen Fall zugeben. Der treue Freund, der loyale Biograph, der Holmes in seinen Werken immer von der allerbesten Seite zeigte, schilderte genüsslich das Scheitern des Detektivs. Er porträtierte Holmes als gefühllose Detektivmaschine, die einer faszinierenden Frau unterlag.
Die Bewunderung des Autors galt in diesem einen Fall nicht dem Detektiv, sondern ausschließlich dieser Frau. IRENE ADLER.
Sie spielte mit den Männern, allen voran mit dem König von Böhmen, einem aufgeblasenen Adeligen mit sehr beschränkten geistigen und moralischen Eigenschaften. Aber sie war keine Erpresserin. Sie verlangte vom König kein Geld für das Foto, das ihn gemeinsam mit ihr zeigte, in einer nicht unverfänglichen Pose. Irene Adler spielte eine Weile mit ihm wie die Katze mit der Maus, um ihm letztendlich ein anderes Bild zu überlassen, das sie allein zeigte. Mit dem Versprechen, das ursprüngliche Foto für immer in sicherer Verwahrung zu halten und ihm damit nicht zu schaden.
Und sie spielte auch, der Darstellung von Watson zufolge, mit Holmes, der sie vergeblich mit einem Trick überführen und zur Herausgabe des Bildes bewegen wollte.
Am Ende dieser Geschichte besiegte Irene Adler den großen Detektiv.
Bevor Holmes das Buch schloss, las er noch einmal das Ende der Erzählung, in dem Watson den Abschied von Irene Adler beschrieben hatte.
Eine ältere Frau stand auf den Stufen zum Tor von Briony Lodge. Sie beobachtete unsere Ankunft mit boshaften Blicken.
»Mr. Holmes, wenn ich mich nicht irre?«, sagte sie.
»So ist es«, bestätigte mein Begleiter in fragendem Ton.
»Meine Herrin kündigte mir Ihr Kommen an. Sie nahm diesen Morgen einen Zug zum Kontinent.«
»Was!« Holmes' Gesicht hatte alle Farbe verloren. »Sie wollen doch nicht sagen, dass sie England verlassen hat!«
Obwohl der Detektiv diese Stelle aus Watsons Erzählung mehr als zur Genüge kannte, flammte der alte Ärger darüber erneut in ihm auf.
Das passte alles nicht zusammen! Hatte weder Hand noch Fuß! Am Anfang wurde er von Watson als gefühlloser Apparat beschrieben, nun erbleichte er vor einem Dienstmädchen.
Es war wirklich an der Zeit, jemand anderen zu finden, der in der Lage war, seine Fälle auf vernünftige und einigermaßen würdevolle Art zu porträtieren. Die Zusammenarbeit mit Watson war unbefriedigend geworden.
Sie wollen doch nicht sagen, dass sie England verlassen hat!«
»Um niemals wiederzukehren.«
»Und das Bild?«, fragte der König heiser. »Nun ist alles verloren.«
»Das bleibt abzuwarten«, sagte Holmes.
Er schob die Frau beiseite und eilte, gefolgt vom König und mir, in den Salon. Er steuerte zielstrebig auf ein Geheimfach zu, in dem er ein Foto und einen Brief fand. Das Bild zeigte Irene Adler, allein, im Abendkleid, der Brief war an Sherlock Holmes adressiert.
Mein Freund riss den Umschlag auf und begann zu lesen.
Was Watson mit diesem persönlichen Brief der breiten Öffentlichkeit präsentierte, war der Gipfel der Peinlichkeit, die Bloßstellung des Detektivs durch eine gerissene Frau und, unbewusst, eines in diese Frau verliebten, eifersüchtigen Biographen.
Na warte, Watson, dachte der Detektiv. Noch ist nicht aller Tage Abend! Für diese Zeilen wird er büßen!
Das Schreiben endete, Watsons Bericht zufolge, mit folgenden Zeilen.
Was die Fotografie betrifft, so kann Ihr Auftraggeber beruhigt sein. Ich liebe einen besseren Mann als ihn und werde von diesem geliebt. Der König soll tun und lassen, was er will, ohne von einer Frau daran gehindert zu werden, der er bitteres Unrecht
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