Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic (German Edition)
spöttisch. »Sollten wir die Rückreise tatsächlich gemeinsam antreten, darf ich doch mit der versprochenen Lesung aus Ihrem Werk rechnen, Mr. Holmes?«
»Aber selbstverständlich«, erwiderte dieser. » Ein Skandal in Böhmen würde sich besonders eignen.«
»Das finde ich auch«, meinte Irene Adler.
»Zumal die Protagonistin dieses bemerkenswerten Textes eine Wandlung zum Positiven erfahren hat. Als weiblicher Detektiv begeht sie keine Verbrechen mehr, sondern setzt nun ihr außergewöhnliches Talent ausschließlich zum Wohle der Menschheit ein.«
»Einspruch, Mr. Holmes! Verbrechen habe ich nie begangen. Ich benutzte nur, wie soll ich es sagen, die Dummheit, oder nennen wir es die Eitelkeit der Menschen, um gewisse Ziele zu erreichen.«
»Die Dummheit und die Eitelkeit der Männer«, verbesserte Holmes. »Wobei ich mich ausdrücklich nicht ausschließe.«
»In Ihrem Fall, Mr. Holmes, sehe ich das etwas anders. Ihr Problem ist nicht Dummheit, sondern eine zu große Konzentration auf die geistigen Kräfte, wobei Sie Instinkt und Kreativität vernachlässigen.«
»Ich arbeite daran. Und wie Sie sehen, nicht ganz ohne Erfolg. Immerhin habe ich Sie auf diesem Schiff aufgespürt. Für wen, wenn ich fragen darf, arbeiten Sie? Und wie lautet Ihr Auftrag?«
Miss Ronstead lächelte. »Ein Berufsgeheimnis, zum großen Teil. Ich vermute, wir sind hinter demselben Rätsel her. Ich möchte für mich und meinen Auftraggeber herausfinden, ob die Titanic mit Absicht versenkt wurde. Und wenn ja, mit welcher Absicht.«
»Und J. P. Morgan jr. zahlt so schlecht, dass Sie sich als Schiffsbibliothekarin verdingen müssen, Miss Ronstead?«
»Ich wüsste nicht, was J. P. Morgan mit meinem Aufenthalt an Bord dieses Schiffes zu tun hätte. Ein netter Versuch, Mr. Holmes. Aber nicht mehr als das. Zu Ihrer Aussage bezüglich meiner finanziellen Ressourcen: Meine Tätigkeit als Bibliothekarin hat einige Vorteile, unter anderem jenen, dass die Bücherei nur zu bestimmten Zeiten geöffnet hat, ganz abgesehen von der herrlichen Ruhe, die hier geherrscht hat, bevor Sie auftauchten.«
»Können Sie sich dennoch vorstellen, mich auf einen Drink zu begleiten?«
»In den Rauchsalon. Ich sterbe vor Gier nach einer Zigarette«, sagte Irene Adler und schloss sich dem Detektiv an.
»Was planen Sie Besonderes, um den Fall zu lösen, Mr. Holmes?«, fragte die Bibliothekarin und blies den Rauch ihrer Belair in die Luft.
»Ich entgegne Ihrer Frage mit einem Zitat aus Ihrem eigenen Mund: Das ist mein Berufsgeheimnis. Ich lade Sie jedoch zu einer Gedenkveranstaltung an Deck der Olympic ein. Heute gegen Mitternacht. Zu jener Zeit, zu der vor drei Jahren das Unglück geschah.«
»Bei den Rettungsbooten, unter freiem Himmel?«
»Bei hoffentlich trockenem Wetter.«
»Ich werde Ihrer Einladung folgen. Ich denke, das ist eine gute Idee.«
Nach einigen weiteren Drinks erkundigte sich Holmes bei Irene Adler, wie ihr weiteres Leben seit ihrem einzigen und letzten Treffen im Jahr 1888 verlaufen war.
»Ich verbrachte einige ruhige Jahre in Amerika mit meinem Mann und den Söhnen. Meine Karriere als Sängerin gab ich auf. Als Nero und Michael alt genug waren, auf eigenen Beinen zu stehen, begann ich in New York als Private Eye zu arbeiten.«
»Eine ungewöhnliche Tätigkeit für eine Frau«, bemerkte Holmes.
»Beeinflusst durch Dr. Watsons Bücher«, sagte Irene Adler. »Ich dachte mir …«
»Was dieser britische Detektiv zuwege bringt, kann eine Amerikanerin noch lange.«
»Nicht genau meine Worte, Mr. Holmes, aber sinngemäß haben Sie recht. Wie immer. Und wie läuft es bei Ihnen?«
»Ich habe meine Ruhe gefunden, im Süden Englands, am Meer.«
»Und dennoch befinden Sie sich an Bord dieses Schiffes und ermitteln.«
»Wer allzu konsequent ist, ist bereits tot. Aber nun möchte ich Sie nicht mehr von Ihrer Tätigkeit abhalten, Mrs. …?
»Wolfe. Ich nenne mich Irene Wolfe, nach meinem zweiten Mann, mit dem ich noch immer verheiratet bin. Und meine Kanzlei nennt sich I. Wolfe, um mögliche Kunden nicht zu früh davon abzuschrecken, zu mir zu kommen.«
»Sie meinen durch einen weiblichen Vornamen?«
»Exakt. Auch wirkungsvollste Drogen sind nicht in der Lage, Ihr klares Denken auszuschalten. Bevor Sie mich fragen, woher ich weiß, dass Sie etwas genommen haben: Ich sehe das an den erweiterten Pupillen Ihrer noch immer sehr reizvollen Augen.«
»Ich danke für das Kompliment, falls es eines ist.«
»Was haben Sie mit der Kette der
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