Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic (German Edition)
Watson verschränkte seine Finger ineinander. Holmes senkte den Kopf. Er betete nicht. Die Musiker stimmten Lowell Masons Nearer My God to Thee an.
Ist mir auch ganz verhüllt
Mein Weg allhier:
Wird nun mein Wunsch erfüllt
Näher zu dir!
Schließt dann mein Pilgerlauf,
Schwing ich mich selig auf
Näher mein Gott zu Dir,
Näher zu Dir!
Als auch die Musiker den Weg in ihre Kabinen angetreten hatten, erkundigte sich Mr. Hatter bei Watson, wie es Mrs. Harrison gehe.
»Ein Schwächeanfall, nichts von Bedeutung«, antwortete dieser.
»Kein Wunder bei den Erinnerungen, die durch die Feier geweckt wurden.«
»Was ist los, Holmes? Was wissen Sie? Was planen Sie?«, fragte Dr. Watson gegen ein Uhr in der Suite des Detektivs, in der auch noch der Journalist Conolly und Bruce Ismay anwesend waren.
»Ich möchte nicht alles auf den Tisch legen. Das ist zu gefährlich im gegenwärtigen Stadium des Falles. Wenn jemand konkrete Fragen stellt, werde ich diese beantworten, so weit mir dies möglich ist. Ich sage aber eines zum heutigen Abend: Der Augenblick der Wahrheit brachte all das, was ich mir erwartet hatte. Es kam zu einer Läuterung, ohne dass ich wesentlich dazu beitrug. Sicher, es waren kleinere Eingriffe nötig, um Beteiligte zu schützen. Ich denke, dass alles seinen vorgegebenen Lauf nehmen wird.«
Auch Joseph Bruce Ismay wollte wissen, wie es Mrs. Harrison gehe und welche Bewandtnis es mit dem Collier von Mrs. Oldman-Smythe habe, das Holmes dem Meer übergeben hatte, ohne zu erwähnen, wo er es gefunden und wer es gestohlen hatte.
»Ich warf tatsächlich einen Gegenstand aus dem Besitz von Mrs. Oldman-Smythe über die Reling. Ich behauptete jedoch nie, dass es sich dabei um das Collier gehandelt hat. Die Kette befindet sich unversehrt in der Kabine eines Passagiers«, erklärte Sherlock Holmes. »Conolly fand sie, ich sicherte sie. Und nun ist sie an ihrem Ziel angelangt.«
Der Journalist protestierte: »Meinen Sie nicht auch, Mr. Holmes, dass ich als Finder dieses Schmuckstücks ein Recht habe zu wissen, wo es nun liegt?«
»Sie werden es erfahren. Noch ist die Zeit dafür nicht reif«, meinte Holmes und beobachtete, wie sich sowohl Watson als auch Conolly Notizen machten. »Sie führen Buch, Mr. Conolly, Doktor Watson?«
Beide Männer nickten.
»Das ist gut so. Es wäre außerordentlich reizvoll, morgen Abend in der Schiffsbibliothek für einen kleinen, interessierten Kreis eine Abschiedslesung aus Ihren Texten zu geben.«
»Da müssen Sie uns aber vorher in das Ergebnis Ihrer Ermittlungen einweihen, Mr. Holmes«, sagte Conolly. »Ich bin gegenüber Ihrem Biographen schwer benachteiligt, da ich nicht einmal die Kabine verlassen darf.«
»So hat jeder an seinem Geschick zu tragen«, stellte Holmes trocken fest. »Dafür leben Sie noch. Ist ja auch etwas. Nein, Sie schreiben nur das, was Sie selbst wissen, meine Herren. Der Gegner soll im Unklaren bleiben.«
»Können wir schreiben, dass das Mädchen durch einen Schock wieder sprechen kann?«, fragte Conolly.
»Sie haben geplaudert, Watson, und das Ihrem schriftstellerischen Konkurrenten gegenüber. Wie unklug, wie überaus unklug. Zu Ihrer Frage, Mr. Conolly: Ich lasse Sie das selbst entscheiden. Ist Ihnen eine journalistische Sensation wichtiger als das Wohlergehen eines kleinen Mädchens? Ist Ihnen ein momentaner Triumph wichtiger als die Gesamtlösung?«
»Aber … Ich habe vor dieser Reise groß berichtet. Und nun? Es scheint, als ob am Ende der Reise keine der wesentlichen Fragen beantwortet ist. Haben Mr. Ismay und sein amerikanischer Partner die Versicherung betrogen und die Titanic versenkt? Wenn ja, wie? Wenn nein, wer oder was steckt wirklich dahinter? Wer wollte mich vergiften? Wer hat meine Kollegen Evans und Robertson auf dem Gewissen?
Wer tötete Mrs. Oldman-Smythe und warum musste sie sterben? Wer stahl ihr Collier?«
»Sie haben wie ich dieselben Chancen, all diese Punkte zu klären. Ich lasse Ihnen völlig freie Hand. Sie können auch die Kabine verlassen, wenn Sie sich dementsprechend verkleiden. Es könnte jemand vor Schreck tot umfallen, Ihr Gespenst zu sehen. Und nach dieser Reise können Sie veröffentlichen, was immer Sie wollen. Wenn Sie der Meinung sind, dass ich versagt habe und nicht fähig war, den Fall zu lösen, dürfen Sie mich öffentlich bloßstellen. Ich werde mich nicht dagegen wehren.«
Holmes hatte sich in Rage geredet. Sein Gesicht war leicht gerötet.
»Aber … Aber warum erzählen Sie uns
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