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Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)

Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)

Titel: Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. J. Preyer
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Sie wirkte jugendlich mit ihren geschmeidigen Bewegungen. Doch die Falten auf ihren Händen und in ihrem Gesicht ließen auf ein fortgeschritteneres Alter schließen.
    »Ich arbeite. Ich habe keine Zeit für dich«, entgegnete Moriarty.
    »Du nimmst dir Zeit, wenn deine Mutter das wünscht. Was hast du mit meiner Katze vor? Antworte!«
    »Nichts. Ich wollte sie füttern.«
    »Du lügst, James. Du wolltest sie töten.«
    »Und wenn schon. Sie ist schon alt.«
    »Sie ist alt, ich bin alt. Noch wagst du es nicht, die Hand gegen deine Mutter zu heben, also nimmst du die Katze. Du lügst, sobald du den Mund öffnest.« »Nicht meine Zunge ist gespalten, liebe Mutter.« Ein listiges Lächeln legte sich über das Gesicht der alten Frau und sie leckte mit ihrer schlangenartigen Zunge über die bleichen Lippen. »Das hättest du auch haben können, aber du warst zu feige dafür.« »Ich lasse mir nicht die Zunge zerschneiden.« »Es wäre ein Zeichen der Verbundenheit gewesen zwischen Mutter und Sohn«, sagte die Frau und zuckte mit den knochigen Schultern. »Zum Zeichen dieses ewigen Bundes, an dessen Beginn du aus meinem Schoß geglitten bist, von meiner Milch getrunken hast, von mir das gelernt hast, was dich zu einem großen Mann gemacht hat. Obgleich dein ständiger Widerstand noch Größeres verhindert hat. Ich bin zwar alt und körperlich schwach, aber mein Wille ist ungebrochen. Ich möchte, dass du das bestätigst.«
    »Aber ja. Lass mich in Ruhe mit deinen Blödheiten.«
    »Das ist nicht die Antwort, die ich von dir erwarte.« Bei diesen Worten griff die Frau nach der Katze und streichelte sie. Dann beugte sie sich zu ihrem Kopf und umspielte das rosige Ohr mit der Zunge. Mit der Linken zog sie blitzschnell einen Dolch aus ihrem Jackett und stach ihn in den Hals des sich nun wehrenden Tieres. Einen Moment später verkrampfte sich die Katze, stieß einen letzten Schrei aus und bewegte sich nicht mehr.
    »Siehst du, was ich nicht alles für dich tue, Jamie«, meinte sie dann. »Komm zu mir, komm zu deiner Mutter, lass dich küssen, Junge.«
    Demütig näherte sich der Professor der Alten, kniete vor ihr nieder und küsste ihre rechte Hand, die sich noch im Fell der Katze verkrallt hatte. Die Frau senkte ihren Mund auf den Hals ihres Sohnes und küsste ihn sanft.
    »Wir gehören zusammen, für immer und ewig«, sagte sie.
    »Warum hast du den Dolch bei dir?«, fragte Moriarty, als er sich erhob.
    »Man muss für alle Eventualitäten gewappnet sein. Besonders wenn man so alt und schwach ist wie ich.«
     
    Bevor Sherlock Holmes den Journalisten Robert Baldwin Ross, den Lektor Wildes, aufsuchte, las er die Märchen des Oscar Wilde, die dieser für seine Söhne Cyril und Vyvyan geschrieben hatte, doch er fand nichts, was auf ein Mysterium rund um Professor Moriarty schließen ließ. Die Texte ließen ihn jedoch tief in die Persönlichkeit des Schriftstellers blicken. Er erkannte, wie im Bildnis des Dorian Gray, einen Menschen, der meinte, er habe sich in tiefe Schuld verstrickt und müsse dafür leiden.
    Moriarty hatte diesen Umstand erbarmungslos für seine Zwecke genutzt und ein mehr als williges Opfer gefunden. Besonders vielsagend erschien Holmes das Märchen vom Glücklichen Prinzen , das von der Statue eines schönen Prinzen, hoch über der Stadt, erzählte. Das Monument war mit glänzendem Blattgold bedeckt und trug zwei leuchtend blaue Saphire als Augen. Den Schwertknauf zierte ein Rubin. Der Prinz, der sein Leben lang glücklich gewesen war, erkannte erst als Statue den Schmutz, die Traurigkeit und das Elend dieser Stadt, und er freundete sich mit einem Schwälberich an, der auf dem Flug nach Ägypten, vor dem kalten, tödlichen Winter auf der Statue Rast gemacht hatte. Diesen Vogel bat er, den Armen und Hungrigen zu helfen, indem er ihnen den Schmuck brachte, der ihn zierte. Er opferte den Rubin, seine Augen und schließlich das Gold, das seinen Körper bedeckte. Der Vogel, der seinem Freund zuliebe den Abflug versäumte, wusste, dass er sterben müsse.
    Er hatte nur mehr die Kraft, noch einmal auf die Schulter des Prinzen zu flattern.
    »Adieu, lieber Prinz«, flüsterte er. »Darf ich zum Abschied deine Hand küssen?«
    »Ich bin froh, dass du nach Ägypten fliegst, kleine Schwalbe«, sagte der Prinz. »Du bist schon zu lange hier geblieben. Du musst meine Lippen küssen, denn ich liebe dich.«
    »Mein Ziel ist nicht Ägypten. Ich fliege in das Haus des Todes. Der Tod ist ein Bruder des Schlafes, nicht

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