Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung (German Edition)
weit, daß er Studien betrieb, wer Shakespeares Stücke wirklich geschrieben haben könnte.«
»Erzählte er der Truppe von seinen Vermutungen?«
»Und ob. Er bestritt, daß der Schauspieler William Shakespeare der wahre Urheber der Stücke war. Dafür zeigten seine Dramen zu viel literarisches und juristisches Wissen, zu viel Einsicht in die Politik der Zeit.«
»Wen vermutete er als wahren Autor?«, fragte der Doktor weiter.
»Er behauptete, völlig sicher zu sein, was den wahren Shakespeare betraf, teilte uns aber nie mit, wer es sei. Er hatte rein persönliche Absichten. Er wollte die Sensation auskosten und wahrscheinlich auch finanziell auswerten.«
»Und wie standen Sie zu Robert Norton?«
»Menschlich kannte ich ihn zu wenig. Beruflich konnte ich ihn als Regisseur akzeptieren. Ein richtiger Profi. Auch wenn mir seine Art der Inszenierung nicht besonders lag. Ich meine, man soll Shakespeare so lassen, wie er ist. Und wenn man glaubt, eines seiner Stücke passe nicht mehr in die Zeit, soll man auf die Aufführung verzichten. Er hat genügend andere Stücke geschrieben, die man ohne Bedenken spielen kann.«
»Es ist Zeit, Mr. Wolseley. Die Proben haben begonnen«, mahnte der junge Schauspieler und legte das Kostüm des Titus über einen leeren Sessel.
»Sie haben keine Rolle in diesem Stück?«, wandte sich Watson an Tom Bedlam.
Der junge Mann, der durch die dicke Schminke, die er auf seinem Gesicht trug, und die Perücke wie eine Wachspuppe wirkte, antwortete in perfekter Bühnensprache: »Ich bin noch jung, ich spiele viele Rollen und das zu jeder Zeit.«
»Ist es nicht furchtbar für einen Schauspieler, nicht auftreten zu können?«, insistierte Watson.
»Ein Schauspieler benötigt nicht immer eine Bühne für seine Kunst. Sie müssen uns jetzt entschuldigen, Dr. Watson.«
»Mr. Bedlam arbeitete bereits vor vier Jahren für dieses Theater. In ›Der Widerspenstigen Zähmung‹, in der Titelrolle«, erklärte Charles Wolseley.
»Als Petruccio?«, fragte der Doktor.
»Nein. Wie ich schon sagte, in der Titelrolle«, antwortete Charles Wolseley.
»Als Katharina«, erklärte Tom Bedlam etwas verlegen.
Fast liebevoll lächelte der sonst so strenge Schauspieler dem jungen Mann zu, der den tiefen Blick erwiderte.
»Eine letzte Frage noch an Mr. Wolseley. Wen halten Sie für den wahren Autor von Shakespeares Werken?«
Das Gesicht von Charles Wolseley veränderte sich blitzschnell. Er schaute nun so abweisend, wie ihn Watson bei der Hochzeit seiner Tochter erlebt hatte.
»Der Rest ist Schweigen«, sagte er und verschwand.
Für zwölf Uhr hatte Myra Hall ihren Vater und Dr. Watson zu einem Essen ins Pub Masons' Arms in Wilmcote eingeladen. Sie war in Begleitung ihres Sohnes Ashley gekommen.
»Was empfehlen Sie als Einheimischer?«, fragte Watson den stellvertretenden Leiter des Instituts.
»Also, ich nehme Fish and Chips, das ist hier am besten.«
Watson schloß sich an und trank ein Glas Weißwein.
Seine Tochter wählte gebratenes Huhn, das sie mit ihrem Jungen teilte. Ashley liebte vor allem die Röstkartoffeln, die als Beilage serviert wurden.
Watson und Jonathan Hall vermieden es, über den Tod von Ashleys Vater zu reden. Der Junge wußte noch nichts davon. Seine Mutter wollte ihn schonend darauf vorbereiten. Das Gespräch steuerte sehr bald auf das Thema Shakespeare zu.
»Wie wäre es, wenn Sie als Fachleute das Rätsel um William Shakespeare für mich lösten?«, wandte sich der Doktor an Mr. Hall und seine Tochter.
»Sie sind ein gebildeter Mann, Doktor«, meinte Jonathan Hall. »Ich würde Sie mit den Daten aus Shakespeares Leben langweilen. Daher schlage ich vor, Sie beginnen mit den Fakten, die Sie kennen.«
»In den Schulen dieser Welt«, begann John Watson, »wird erzählt, daß der große englische Dramatiker William Shakespeare am 26. April 1564 in der Holy Trinity Church in Stratford-on-Avon getauft wurde. Man vermutet seine Geburt wenige Tage zuvor. Er starb am 23. April 1616. Wir wissen absolut nichts über die Schulbildung des Knaben.
Tatsache ist, daß es in Stratford eine Lateinschule gab, deren Besuch gratis war, weil die Stadt dafür bezahlte. Es ist jedoch auszuschließen, daß William Shakespeare eine Universität besuchte. Man wäre in diesem Fall auf entsprechende Dokumente in den Archiven der Hochschulen gestoßen.
Mit achtzehn mußte er eine um Jahre ältere Frau heiraten, die von ihm ein Kind erwartete. Sie bekamen noch zwei weitere Kinder, Zwillinge.
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