Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung (German Edition)
sich immer wieder des perfekten Haltes seiner grauen Haarsträhne, unter der sich eine ausgedehnte Stirnglatze verbarg.
»Wie die großen Maler der Renaissancefresken arbeitete Shakespeare schnell, ohne Korrekturen.«
Erstaunt blickte John Watson dem Mann ins schlecht rasierte Gesicht.
»Wie das?«, fragte er. »Wie kommen Sie darauf? Es sind keine Originalhandschriften Shakespeares erhalten.«
»Ich …, der Professor …«, stammelte der Bibliothekar verlegen.
»Sie meinen Ihren Chef, Professor Wilcher?«
»Ja. Der Professor hatte eine wunderbare Entdeckung gemacht, von der er mir erzählte.« Bei diesen Worten senkte Matthew Langdon seine Stimme zu einem Flüstern. »Er kannte einige Texte in der Handschrift des großen Autors.«
»Sie selbst sahen keines dieser Manuskripte?«
Der Bibliothekar bedauerte: »Es war mir bisher nicht vergönnt. Leider. Ich würde viel dafür geben. Alles. Fast alles.«
Obwohl sich außer Dr. Watson und Matthew Langdon nur ein junges Paar in der hohen Halle der Bibliothek befand, hatte der Bibliothekar in kaum wahrnehmbarer Lautstärke gesprochen. Aber die jungen Leute hatten keine Augen für die beiden Männer, sie waren völlig aufeinander fixiert.
Watson glaubte, in den jungen Leuten das frisch vermählte Paar zu erkennen. Um dem Mitteilungsdrang des Bibliothekars zu entgehen, und um die Richtigkeit seiner Vermutung zu überprüfen, begab sich Holmes zu den jungen Leuten und stellte sich vor.
»Ich freue mich sehr, Sie zu sehen, Doktor«, sagte Kitty.
»Ich hoffe, daß die Umstände des Verschwindens meines Vaters geklärt werden können. Die Unsicherheit belastet uns sehr«, fügte ihr Mann Coleen hinzu.
»Hinterlassen Sie mir eine schriftliche Nachricht im Shakespeare Memorial Hotel, wenn Sie Hilfe brauchen oder wenn sich etwas Unerwartetes ereignet«, sagte Watson.
»Hier sind Sie also, Doktor. Niemand im Hotel konnte mir verraten, wo Sie sich aufhalten«, rief Myra Hall vom Eingang der Bibliothek dem Detektiv zu.
»Ich muß mich entschuldigen, Miss Myra. Was für ein Versehen meinerseits! Ich dachte mir, ich würde rechtzeitig zurückkehren.«
»Ach, Sie sind Mr. Langdon in die Hände gefallen. Jetzt verstehe ich alles.«
»Schwachheit«, schnaubte der Bibliothekar, »dein Name ist Weib!«
Gegen halb elf Uhr trafen Myra Hall und John Watson im Foyer des Royal Shakespeare Theatre ein.
Der eigentliche Theatersaal war ziemlich klein. Besonders der Platz für das Orchester unter der Bühne war mehr als beengt. Zwei Stockwerke von U-förmigen Galerien erstreckten sich in die Höhe des kreisrunden Raumes.
Die Bühne war in fahles Arbeitslicht getaucht, die vorherrschende Farbe der Kulissen und Kostüme war grau.
Alle Schauspielerinnen und Schauspieler, die noch untätig umherstanden, waren schwarz geschminkt, bis auf Aaron, Tamoras Diener.
»Robert möchte die Aussage des Stückes umdrehen. Bei ihm sind nicht die Schwarzen die ausgestoßene Minderheit, sondern die Weißen. Er ist ... Er hat …«
»Ihr Freund Robert hat einen persönlichen Hintergrund, der ihn veranlaßt, das Stück in dieser Art zu sehen?«, erkundigte sich Dr. Watson.
»So könnte man es nennen. Robert ist kein Farbiger, aber er hat sehr dunkle Haut«, sagte Myra Hall und fuhr fort: »Durch Kürzungen im Text konzentriert sich seine Aufführung noch stärker auf die Darstellung der Konflikte, auf die Kompromißlosigkeit im Verhalten der Figuren.«
Beinahe atemlos verfolgten Myra und der Doktor die Proben der Szene, in der das neugeborene Kind der Gotenkönigin, in diesem Fall ein weißes Baby, auf die Bühne geschleudert und dort im Brustbereich mit einem Schwert durchbohrt wurde.
Bis zum Ende der Aufführung sollte die wie ein Schmetterling aufgespießte Puppe, die in einer grellroten Blutlache lag, auf der Bühne zu sehen sein.
»Robert will das Ende des Stücks besonders wirkungsvoll gestalten, als Höllenfahrt aller«, flüsterte Myra. »Der Bühnenboden wird sich öffnen. Die Personen stürzen bei den letzten Worten in ein Flammenmeer.«
Watson begann mit gesenkter Stimme zu deklamieren:
»Begrabt ihn bis zu seiner Brust in Erde.
So laßt ihn stehen, hungern, dursten, schrei'n.
Und wer ihm hilft durch Tat oder Bedauern,
auch er wird sterben für sein töricht Tun.
Bewacht wird er in seinem Erdenkerker.«
Myra Hall setzte fort:
»Warum soll meinem Zorn die Sprache fehlen?
Ich bin kein kleines Kind, das schweigen muß.
Bereue keine meiner dunklen Taten.
Und viel, viel
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