Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung (German Edition)
rassistischen Tendenzen stören mich.«
»Ach ja, der schwarze Diener der Gotenkönigin, der mit ihr im Ehebruch einen Mischling zeugt.«
»Und die negativen Aussagen über Farbige.«
»Robert versuchte, dieses Problem in der Aufführung zu lösen. Man hatte ihn mit der Regie beauftragt, weil er selbst betroffen ist. Natürlich nicht nur aus diesem Grund. Er war sehr begabt. Robert war ein interessierter, kreativer Mensch. Ich kann es nicht fassen, daß er nicht mehr …«
»Erzählen Sie von ihm«, bat Watson und reichte Myra ein Taschentuch.
»Er war so stolz, daß er den beruflichen und menschlichen Aufstieg geschafft hatte. Vom Mischling aus London, wie er sich manchmal bitter ausdrückte, zum Regisseur, der ein Kind mit einer Weißen hat.«
»Kränkte Sie das, Myra?«
»Was?«
»Daß Sie Mittel zum Zweck waren. Zum Zweck seines Aufstiegs.«
»Er liebte mich, aber die Tatsache, daß ich eine Weiße bin, war ihm wichtig. Ja, das störte mich. Und es war einer der Gründe, warum wir uns trennten. Zu Ashley war er wunderbar. Ein guter, gefühlvoller Vater.« Myra füllte ein drittes Glas mit Whisky und seufzte: »Diese bornierten, selbstverliebten Schauspieler! Wolseley, der Darsteller des Titus, warf Robert vor, gegen Shakespeares Geist zu arbeiten und seine Stücke zu zerstören.«
»Wolseley. Ich habe ihn gesehen. Bei der Probe und im Hotel. Und bei der Hochzeit seiner Tochter.«
»Charles Wolseley ist ein Vollblutschauspieler. Aber wie bei allen Großen seiner Zunft liegen Licht und Schatten eng beisammen.«
»Haben Sie mit Ihrem Freund Robert Norton über die Frage der Urheberschaft der Werke Shakespeares gesprochen?«
»Ja, natürlich«, lächelte Myra Hall. »Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn Shakespeare ein Farbiger gewesen wäre. Aber dafür gibt es nun wirklich keine Hinweise.«
»Welche Vermutungen hatte Mr. Norton?«
»Sie gingen in dieselbe Richtung wie meine eigenen.«
»In welche?«
»Shakespeares Stücke müssen von jemandem stammen, der sich bei Hof gut auskannte, einem Insider, und einem Mann, der Sinn fürs Theaterspielen hatte. Für mich ist es naheliegend, daß es sich dabei um einen Hofnarren handeln mußte, der sich entweder am Hof von Königin Elizabeth oder King James aufhielt.«
»Sie vermuten, daß der wahre Autor der Shakespearestücke ein Clown war?«
»Ja. Elizabeth hatte zwei Narren, darunter eine Frau.«
»Das wäre fürwahr eine Sensation, wenn sich hinter Shakespeare eine Frau verbirgt«, lachte John Watson.
»Und Archie Armstrong war Hofnarr von James I., dem Nachfolger von Elizabeth I. Aber ich sehe, Sie nehmen mich nicht ernst.«
»Doch, doch. Eine interessante Ansicht. Und deswegen mußte Robert Norton sterben«, stellte Watson fest.
Erschrocken blickte ihn Myra an. »Wenn das der Fall wäre …«
»Dann wären auch Sie in Gefahr«, ergänzte Watson.
KAPITEL 4
SHAKESPEARES SCHÄDEL
»Wenn Sie mir nun die Toga bringen, Bedlam. Die Proben beginnen in fünf Minuten«, sagte der Schauspieler Charles Wolseley zu Tom Bedlam. Der Neunzehnjährige, der eine dunkle Kurzhaarperücke trug, verschwand im Nebenraum. »Ich hatte mit Robert Norton ausschließlich beruflichen Kontakt«, wandte er sich an Dr. Watson.
»Aber Sie haben bei der Probenarbeit einiges gesehen und gehört«, bohrte dieser weiter.
»Schauspielertruppen ohne Gerüchte sind Laiengruppen«, lächelte Mr. Wolseley und sein sonst so abweisendes Gesicht wirkte mit einem Mal durchaus sympathisch.
»Und die Leute von der Memorial Company sind Profis.«
»Natürlich interessiert es die Schauspieler, was für ein Mensch ihr Regisseur ist. Beim Erarbeiten des Stückes erklärt er den Text, die Figuren und seine Weltsicht, die nicht immer mit der seiner Truppe übereinstimmen muß. In den Auseinandersetzungen wird einigermaßen klar, wofür und wogegen jeder steht.«
»Wofür und wogegen stand der Regisseur?«, fragte Watson.
»Ihm war die Gleichstellung der Schwarzen ein Anliegen, wie man der Inszenierung unschwer entnehmen kann. Daß man ihm das Shakespeare-Zitat DEN GOTTVERDAMMTEN MOHR BRINGT VOR GERICHT einbrannte, werte ich als Protest dagegen.«
»Protest. Ein mildes Wort für Mord. Aber ein interessanter Gedanke. Erzählen Sie weiter. Was für ein Mensch war Robert Norton beruflich und privat?«, bat Watson.
»Beruflich ein absoluter Profi. Bevor er ein Stück inszenierte, beschäftigte er sich eingehend mit dem Text und dessen Umfeld. Bei Shakespeare ging das so
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