Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung (German Edition)
Daß ausgerechnet dieses Grab über Jahrhunderte unangetastet blieb, ist lächerlich und unglaubwürdig.«
»Das heißt«, meinte Watson, »Sie vermuten, daß das Grab ein Geheimnis birgt ...«
»... das man aus gutem Grund nicht lüftet«, ergänzte Sherlock Holmes.
»Ich werde ein Treffen mit dem Vikar der Kirche vereinbaren und ihn detailliert befragen«, schlug Myra Hall vor.
»Ich werde Sie begleiten«, sagte Sherlock Holmes. »Es könnte sein, daß Ihnen ein wesentlicher Punkt entgeht. Immerhin sind Sie Literaturwissenschaftlerin und nicht Detektiv.«
Er sieht aus wie ein Engel, ein dunkler Engel, dachte Myra, als sie das lockige Haar von Mr. Slough, des Reverends der Holy Trinity Church, betrachtete.
»Mr. Ramsey ist Journalist aus London«, stellte Myra Hall den Detektiv vor. »Er wird über Shakespeares Grab schreiben. Und weil auch wir im Institut keine Experten auf diesem Gebiet sind, wäre es wunderbar, wenn Sie …«
»Folgen Sie mir«, bat der Vikar und betrat den gotischen Kirchenraum von der Sakristei aus. »Auf der linken Seite befindet sich die Shakespeare-Büste, die noch zu Lebzeiten seiner Witwe Anne hier angebracht wurde. Es ist anzunehmen, daß sie authentisch ist.«
Myra und Holmes betrachteten eingehend die bemalte Büste eines wohlbeleibten Mannes mit beachtlich dunkler Hautfarbe, einer Stirnglatze und einem Kinnbart.
»Unter diesem Stein vermutet man sein Grab, etwa fünf Meter unter dem Kirchenboden.«
Mein Freund, laß ab von diesem Raub.
Bewahre gnädig meinen Staub.
Im Namen Jesu schone mein Gebein.
Es liegt ein Fluch auf diesem Schrein.
Holmes las die berühmte Grabinschrift, die vor dem Öffnen des Grabes warnte.
»Und man versuchte nie, das Grab zu erforschen?«, fragte er.
»Soweit mir bekannt ist, hat man den letzten Wunsch des großen Dichters respektiert. Als man gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Gruft für eine andere Familie errichtete, vermauerte man den Durchblick in die Grabkammer der Familie Shakespeare sorgfältig.«
»Das heißt«, wandte der Detektiv ein, »daß jemand damals Einblick in das Grab Shakespeares hatte.«
»Dazu gibt es keine Aufzeichnungen.«
»Sie sprachen von der Grabkammer der Familie Shakespeare«, sagte Sherlock Holmes.
»Ja. William Shakespeare wurde nicht wegen seiner literarischen Leistung im Altarraum der Kirche begraben, sondern weil er als wohlhabender Mann dafür eine erhebliche Summe Geld an die Kirche gezahlt hatte.«
»Es heißt«, sagte Myra Hall, »daß sich an der Kirche ein Beinhaus befunden habe, in dem die Knochen von länger Verstorbenen gelagert wurden, um Platz zu schaffen für neue Gräber. Und man meint, die Inschrift, die davor warnt, die Gebeine Shakespeares zu stören, sei ein Versuch, dies zu verhindern.«
»So ist es«, bestätigte Reverend Slough.
»Es heißt auch«, fuhr Myra fort, »daß das Hochwasser des Avon alles zerstört haben muß, was sich je in diesen Gräbern befunden hat.«
»Das trifft keinesfalls zu«, meinte der Priester. »Die Grabkammern sind wasserdicht. Das Risiko einer Verseuchung des Flusses durch Leichen wäre zu groß gewesen. Immerhin sind Hochwässer des Avon nicht die Ausnahme, sondern jährlich wiederkehrende Ereignisse. Die Fundamente der Kirche und die Grabkammern sind dicht. Zudem liegen Shakespeare und die Seinen in Bleisärgen.«
»Dann hat man die Särge also doch gesehen«, stellte Holmes fest.
»Versichert man glaubhaft«, verbesserte sich der Reverend.
»Von wissenschaftlicher Seite?«, fragte Myra Hall.
»Eine Feststellung von Dan Symmons, einem Archäologen, der sich in einigen Abhandlungen damit beschäftigt.«
»Es wäre für mich von großer Bedeutung, diesen Mann kennenzulernen«, betonte Sherlock Holmes.
Reverend Slough erklärte, daß der Archäologe für das British Museum in London tätig sei. Dann fügte er hinzu: »Zudem ist dieser Stein nicht der Originalgrabstein. Der alte Stein hatte sich gesenkt und mußte ersetzt werden.«
»Auch bei dieser Gelegenheit konnte man in die Gruft blicken«, bemerkte Myra. »Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß dies schon eine recht merkwürdige Sache ist?«
»Ich bin Priester hier, kein Museumswärter, daher kümmere ich mich mehr um die lebenden Besucher der Kirche und um Gott. Natürlich macht man sich seine Gedanken. Immerhin war es Ihrem Institut, Miss Myra, ein Vermögen wert, das Grabmal mit einer hochmodernen Alarmanlage auszustatten, um jede Störung von Shakespeares Grabruhe zu
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