Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung (German Edition)
sagte Coleen, »wir müssen es versuchen, wir müssen uns absolut gleichzeitig vom Balken abstoßen, sonst verhungern und verdursten wir.«
»Ich kann nicht. Ich schaffe es nicht mehr«, klagte Kitty. »Du bist kräftiger. Spring! Du mußt keine Rücksicht auf mich nehmen. Mir ist es lieber, in den Schwertern zu sterben, als so weiterzuleben.«
»Nein. Dann sterben wir gemeinsam.«
Hatten sie anfänglich noch über ihre Zukunft, über ein eigenes Haus auf dem Land, nahe Stratford, über ihre Kinder – sie wollten mindestens drei – geredet, um sich abzulenken, so wurden sie in den letzten Stunden immer schweigsamer, stärker in sich gekehrt, konzentrierten sie sich immer mehr auf das eigene Geschick.
Sie mußten versuchen, wach zu bleiben, denn auch der Schlaf konnte die Balance stören und so den geliebten Partner gefährden. Dennoch glitten sie immer öfter in einen Dämmerzustand der Schwäche.
Wieder wurde die Eisentür zum Verlies geöffnet, in dem sich die Todeswaage und vier Steinsärge befanden. Die in Marmor gemeißelte Inschrift über einem der Sarkophage wurde sichtbar: THE ENIGMA OF THE WORLD, als den beiden bewußt wurde, daß diesmal etwas anders war. Nicht ein einzelner Mann wie sonst kam in ihr Gefängnis, eine Gruppe von Menschen war eingetreten, an deren Spitze sich ein hoch gewachsener älterer Mann befand.
Es war Sherlock Holmes, der die beiden bat, sich noch ruhig zu verhalten, bis man die Todesschaukel abgesichert hatte.
Sobald man auf jeder Seite durch Einschieben von Holzlatten ein Abgleiten verhindern konnte, hob man die beiden jungen Menschen von ihren Folterbänken. Kitty konnte nicht mehr stehen, sie glitt zu Boden. Ihr Mann kroch auf sie zu und umarmte und küßte sie.
Erst langsam ließen sie voneinander, um nach dem Wasserkrug zu greifen, den man ihnen reichte.
»Keine feste Nahrung. Das könnte tödlich sein«, warnte Dr. Watson.
»Sie bringen euch in das City Police Hospital, wo ihr sicher seid, untersucht und betreut werdet«, erklärte Holmes. »Und wenn ihr einigermaßen transportfähig seid, schicke ich euch an einen sicheren Ort in den Süden unseres Landes.«
Holmes saß seit Stunden in der Art-Deco-Halle der Bibliothek der Freemason's Hall in der Great Queen Street, in der auch Myra Halls Sohn Ashley und seine schottische Kinderfrau untergebracht waren, und studierte Material zu Shakespeares Identität.
Der Bibliothekar der Freimaurer gewährte ihm Einblick in Literatur, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich war.
Allmählich rundete sich das Bild ab, in dessen Zentrum ein ungewöhnlicher Mann stand: König James I.
Es war einmal ein König …
... der hatte eine Mutter ...
... Mary Stuart, die Königin von Schottland, um die sich sowohl der König von Frankreich als auch Heinrich VIII. von England bemühten. Nicht sie war so attraktiv, ihr Land, Schottland, wollten die Monarchen ihrer Herrschaft einverleiben. Wenn möglich auf friedlichem Weg, durch Heirat mit der jungen Frau, aber durchaus auch auf kriegerische Weise, falls unumgänglich. Um ihr Leben zu retten, sandte man das fünfjährige Mädchen nach Frankreich, wo es schließlich mit sechzehn den fünfzehnjährigen Thronfolger Francois heiraten mußte. Mit siebzehn war sie Königin von Frankreich. Als sie achtzehn war, starb ihr Mann. Sie kehrte zurück nach Schottland, wo sie ihrer Aufgabe als Monarchin nachging.
Es war einmal ein König …
... der hatte zwei Väter.
Mit dreiundzwanzig heiratete Mary ihren hübschen Cousin Henry Lord Darnley. Eine Liebesheirat, die sich als großer Irrtum herausstellte. Der Mann war ein Tunichtgut. Protestantische schottische Adelige versuchten Henry auf ihre Seite zu ziehen, indem sie seine Eifersucht auf Marys italienischen Sekretär David Rizzio schürten, einen Mann maurischer Abstammung mit sehr dunkler Haut. Am 9. März wurde Rizzio in Gegenwart der Königin abgeschlachtet. Sie war im sechsten Monat schwanger. Ihr Sohn James kam am 9. Juni 1566 zur Welt. Mit gekräuseltem Haar und brauner Haut.
Darnley starb bei der Explosion eines Hauses im Jahr darauf. Er war zuvor stranguliert worden. James, Earl of Bothwell, wurde des Mordes verdächtigt, aber freigesprochen. Ihn heiratete die Königin im Mai desselben Jahres.
Als in England Elizabeth I. zur Königin gekrönt wurde, betrachteten viele die Katholikin Mary Stuart als die eigentliche Herrscherin.
Zwei Dramen von Shakespeare, dachte Sherlock Holmes, beschäftigen sich mit entscheidenden Momenten
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