Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung (German Edition)
den Platz links vom Fenster«, teilte Hillary dem Kellner des »Shakespeare Globe Restaurant« mit, und Holmes, Watson und sie nahmen an dem weiß gedeckten Tisch mit der grandiosen Aussicht Platz.
»Ich bin ziemlich hungrig«, gestand Hillary und blätterte in der Speisekarte.
Während sie sich für Lammrücken entschied, wählte Holmes Irish Stew. Watson nahm Schweinebraten mit Apfelmus. Dazu tranken sie Wein.
Nach einem Autumn Fruit Pudding und einem Espresso meinte Hillary, daß sie nun bereit zum Arbeiten sei.
Holmes gab dem Kellner ein sattes Trinkgeld, mit der Bitte, sie längere Zeit nicht zu stören.
»Ich schlage vor, Sie entwickeln mit uns ein Psychogramm von William Shakespeare, anhand seiner Texte, und zwar völlig unvoreingenommen, ohne Rücksicht auf die Ergebnisse bisheriger Forscher. Ganz naiv. Nehmen wir an, Shakespeare hat in seinen Texten seine eigenen Erfahrungen niedergeschrieben.«
»Ja, wenn man so an die Sache heranginge …«
»Wir wagen es. Nehmen wir seinen Hamlet«, begann Holmes. »Ich behaupte, daß Shakespeares Vater von dem Mann ermordet wurde, der später seine Mutter heiratete …«
»Ein faszinierender Gedanke, die Stücke eins zu eins auf das Leben des Dramatikers umzulegen.«
»Wie das bei vielen anderen Schriftstellern gemacht wird«, fügte Holmes hinzu.
Hillary Swindon entwickelte das Bild eines hoch gebildeten Mannes, der detaillierte Kenntnisse klassischer Literatur und Mythologie, des Rechtswesens, der zeitgenössischen Medizin und des Lebens am königlichen Hof hatte. Neben Latein und Griechisch mußte der Autor der Stücke, die Shakespeare zugeschrieben werden, Italienisch und Französisch beherrscht haben, da es ihm sonst nicht möglich gewesen wäre, die Quellen zu seinen Dramen zu lesen. Er wußte, wie man ein Schiff navigierte …
»Sie sind also überzeugt, daß der Schauspieler William Shakespeare aus Stratford die Stücke nicht geschrieben hat.«
Hillary Swindon nickte mehrmals.
»Die Frage ist nur, wer sich dieses Mannes bediente und warum«, wandte Dr. Watson ein.
»Jemand, der ihn kannte. Jemand, der eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben spielte. Immerhin enthalten die Sonette das Eingeständnis homosexueller Liebe«, überlegte Holmes.
»Es muß ein Mann gewesen sein, der in seinem Leben alles erlebt und ausprobiert hat, der Macht, Mord und Liebe am eigenen Leib erfahren hat, der trotz eines tätigen Lebens den Wert des Schreibens kannte, der die Sprache liebte. Ein Mann, der das Verwirrspiel der Geschlechter kannte und genoß.«
»Was meinen Sie mit dem Verwirrspiel der Geschlechter?«, fragte Holmes, der schon seinen zweiten Whisky-Soda trank.
»In manchen der Stücke von Shakespeare sind sich die Männer nicht ganz sicher, ob sie einem Knaben oder einer Frau gegenüberstehen, und fühlen sich dennoch hingezogen.«
»Das geht darauf zurück, heißt es, daß zu Shakespeares Zeiten keine Frauen auf die Bühne durften, und daß Frauenrollen von jungen Männern übernommen wurden.«
»Jaja«, meinte Hillary. »Aber haben nicht gerade Sie mich aufgefordert, unkonventionell zu denken?«
»Und wohin führt die Spur der unkonventionellen Denkerin?«, fragte Holmes nach.
»Ich gehe keinen Schritt weiter in diese Richtung, ohne einen Beweis irgendwelcher Art. Ein einziges Schriftstück des Autors von seiner eigenen Hand würde genügen. Der Schauspieler Shakespeare konnte ja nicht einmal seinen eigenen Namen richtig schreiben. Ein Sonett, ein Drama, vom Verfasser selbst niedergeschrieben, und wir hätten den Beweis.«
»Den Beweis wofür?«, fragte Holmes.
»Ich habe noch einiges vor in meinem Leben. Ich möchte nicht mit einem Spruch auf meinem Bauch enden.«
»Damit wären wir bei Titus Andronicus«, stellte der Detektiv fest. »Nehmen wir auch bei diesem Stück an, es sei in wesentlichen Zügen autobiographisch. Was könnten wir ableiten?«
»Es käme darauf an, mit welchen Figuren sich Shakespeare identifizierte. Entspricht ihm die Figur des Titus Andronicus, der in seiner persönlichen Verletzung fast wahnsinnig wird und mörderisch-kannibalische Rache nimmt?«
»Oder sieht er sich als Außenseiter wie die Gotenkönigin Tamora und ihr schwarzer Diener …?«
»Die ganze Welt ist eine Bühne.«
»Und alle Frauen und Männer bloße Spieler.«
»Sie kennen Shakespeare ganz gut, Mr. Holmes«, sagte die junge Wissenschaftlerin. »Rücken Sie heraus, auf wen Ihr Verdacht fällt.«
»Wie Sie nicht ganz unrichtig sagten, Miss Hillary,
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