Sherlock Holmes und die Zeitmaschine (German Edition)
Er wusste nicht, was ihn stärker beunruhigte, Hintons Enthüllung oder Holmes' seelenruhiger Gesichtsausdruck. Den Detektiv umgab eine Aura ausgesprochener Gelassenheit, die Kent an die altehrwürdigen Heiligen erinnerte, deren friedvolle Gesichter er in den Rauchglasfenstern der Gotteshäuser seiner Jugend gesehen hatte.
»Wissen Sie, wo wir Moesen Maddoc finden, Professor?«, brach Kent in die unangenehme Stille ein, die nach Hintons Ausfall eingetreten war. »Ungeachtet der Frage, ob er wahnsinnig ist oder nicht, müssen wir mit ihm sprechen.«
Hinton schüttelte den Kopf. »Ich habe weder eine Ahnung noch den Drang, es zu erfahren.« Dann runzelte er die Stirn und tippte sich leicht mit seinem dünnen Zeigefinger gegen die Schläfe. »Allerdings gibt es noch jemanden in London, an den Sie sich wenden könnten. Wenn ich mich recht entsinne, heißt dieser junge Mann Wells, Herbert George Wells. Er erfreut sich zunehmender Beachtung als Schriftsteller, wobei sein Hauptfeld, gleichwohl ohne thematisch festgelegt zu sein, im Bereich der Erzählliteratur liegt. Maddoc stieß damals bei ihm auf offene Ohren, als wir drei gemeinsam das Royal College besuchten. Zwar verfasste er '88 ein oberflächliches Werk, das auf Maddocs Stümperei beruhte, doch womöglich besteht der Kontakt zwischen den beiden nach wie vor. Ich bin mir nicht sicher, weil mich mit keinem von ihnen weiterhin irgendetwas verbindet, obschon ich nichts gegen Wells persönlich habe.« Er schrieb eine Adresse auf die Rückseite eines Umschlags und überreichte diesen Kent. »Bis zu ihm sind es keine fünf Meilen von hier aus. Wenn Sie also mehr über Moesen Maddoc und seine Irrungen erfahren möchten, wenden Sie sich bitte an Mister Wells und verschonen Sie mich bitte in Zukunft.«
Die genaue Adresse lautete Mornington Terrace 12 und befand sich im Nordwesten, unmittelbar hinter dem weiten Gelände von Regent's Park. Nachdem sie am Chelsea-Damm, Höhe Flood Street, ein Hansom-Taxi angehalten hatten, fuhren sie rasch die Kings Road hinauf nach Knightsbridge und schließlich Piccadilly. So früh am Morgen war der Verkehr natürlich noch überschaubar, doch zu behaupten, sie hätten die Straße für sich allein gehabt, wäre vermessen gewesen, denn diese Stadt, der Nabel der Welt, schlief bekanntermaßen nie. So überraschte es nicht, dass bereits Vertreter aller Gesellschaftsstände ihrem Tagwerk nachgingen. Vorbei am Park Crescent gelangten sie über Marylebone und die Hampstead Road endlich an ihr Ziel, eine ruhige Straße, die ihren Namen dem Earl of Mornington verdankte, dem Bruder des großen Wellington und Generalgouverneur von Indien. Hier standen Backsteinhäuser dicht an dicht; bescheidene, aber gepflegte Anwesen hinter schweren Eisenzäunen, in die man von dem breiten Gehweg aus Einlass erhielt, nachdem man die kurze Treppe zur Haustür erklommen hatte.
Im Gegensatz zu den Nachbarhäusern brannte in Nummer 12 Licht. Sie klopften dezent an, woraufhin ein hagerer, sorgfältig gekleideter Mann mit üppigem, braunem Schnurrbart und wachsamen blauen Augen öffnete. Obwohl es noch früh am Morgen war, legte er eine bemerkenswerte Frische an den Tag.
»Mister Wells?«, fragte Kent.
»Ja, mein Name lautet Herbert Wells.«
»Ich bin Inspektor Kent von Scotland Yard, und das ist Sherlock Holmes.«
»Ist mir ein Vergnügen, Mister Holmes, wenn auch ein unerwartetes«, freute Wells sich.
»Danke, Mister Wells.«
»Sehen Sie uns die Störung zu solch früher Stunde bitte nach, Mister Wells«, fuhr Kent fort. »Wir haben jedoch ein dringendes Anliegen an Sie.«
»Aber gewiss doch ... Treten Sie bitte ein, Gentlemen«, bat Wells. »Sie sind meine ersten Besucher, seit ich hier eingezogen bin.«
»Erst kürzlich?«, fragte Holmes.
»Ja, relativ«, entgegnete der Schriftsteller. »Es dauerte von Januar bis März. Vorher wohnte ich am Mornington Place 7, aber nach ... nun ja, persönlichen Unannehmlichkeiten, über die ich mich nicht auslassen möchte ...« Wells führte sie in ein geschmackvoll möbliertes Wohnzimmer. Nur eine Paraffinlampe erhellte den Raum, die auf einem mit Schreibpapier übersäten Arbeitstisch stand.
Um die Schatten zu vertreiben, entfachte der Hausherr zwei weitere Gasleuchten. »Bitte, nehmen Sie Platz. Sie haben mich nicht geweckt«, versicherte Wells und zeigte auf den Schreibtisch. »Ich arbeite gerade an einer Geschichte, die ich veröffentlichen möchte.«
»Ist es ein Roman?«, wollte Holmes wissen.
»Kein
Weitere Kostenlose Bücher