Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
Trommel, Waschbrett und anderes, was die so genannte Country-und Western-Musik ausmachte. Holmes mit seiner schnellen musikalischen Auffassungsgabe hatte offenbar rasch gelernt, was er können musste. Er schien der zweite Geiger zu sein, denn bevor der erste Geiger zu einem Solo ansetzte, neigte er sich Holmes zu und summte ihm etwas ins Ohr. Als dann das Solo kam, spielte Holmes die zweite Stimme dazu. Es war ein wahrer Ohrenschmaus! So hatte ich meinen Freund noch nie spielen hören. Dabei sah er absonderlich aus! Sein Kostüm bestand außer dem wohl unvermeidlichen Stetson-Hut aus einem Oberhemd, einer Weste, einem Halstuch, einer blauen Stoffhose, ledernen Cowboystiefeln und einem ledernen Beinkleid, das über der Hose getragen wurde. Natürlich gehörte auch ein Gürtel mit Revolver zur Ausstattung.
Wer diese Musik hörte, musste einfach mit den Knien dazu wippen. Ich blieb so lange ich es glaubte verantworten zu können lauschend stehen und ging dann in meinen Wagen zurück. Dabei hatte ich Gelegenheit, zu bewundern, mit welch modernen Anlagen Buffalo Bill seinen Zirkus erleuchtete. Überall standen Kohlebogenlampen, die ein elektrischer Generator mit Strom versorgte. Cody hatte sogar ein eigenes Telegrafenamt einrichten lassen. Die Telegrammadresse lautete, wie ich herausfand, natürlich Wild West, London .
Trotzdem gab es zahlreiche dunkle Zonen auf dem Gelände, an denen keine Lampen aufgestellt waren. Diese Bereiche boten Raum für mancherlei, was dem Auge des Beobachters verborgen bleiben sollte. Klar, dass ich mich dafür besonders interessierte. So wurde ich Zeuge, wie Buffalo Bill jemanden erwischte, der offenbar nicht zum Zirkus gehörte. Da ich mich selber im Dunkeln halten musste, konnte ich nicht genau erkennen, wer die Person war, die er am Kragen gepackt hatte und kräftig schüttelte. Ich vernahm lediglich eine nicht unkultivierte Stimme, die offenbar zu einem jüngeren Mann gehörte. »Mr. Cody«, beschwerte sich die Stimme. »Bitte!«
»Wenn ich dich noch einmal erwische, schieße ich dich kurzerhand über den Haufen. Du wärst nicht der Erste. Verschwinde, bevor ich es mir anders überlege!«
»Sie sind ein Flegel, Mr. Cody!«, kam die gezierte Antwort zurück. Die Gestalt klopfte sich die Kleider ab und hob etwas vom Boden auf. Dass es sich um einen Zylinder handelte, konnte ich erkennen, als die Gestalt vor eine Lampe trat. Ich sah die Silhouette eines Gentlemans, der abgesehen von dem Zylinder auch einen Spazierstock besaß und sich eilends davonmachte. Was das wohl zu bedeuten hatte? Ich nahm mir vor, es bei der nächsten passenden Gelegenheit Sherlock Holmes zu erzählen. Dann trollte ich mich zurück zu meinem Wagen. Womöglich hatte Buffalo Bill vergessen, wer ich war und würde mich ebenfalls aufs Roheste misshandeln, wenn er meiner ansichtig würde. Ich arbeitete bis zum Essen einige liegen gebliebene Ausgaben des Lancet auf. Auf Holmes wartete ich an diesem Abend vergebens.
Der nächste Tag verging ereignislos, sieht man von dem ungarischen Husaren ab, der in einen Apfel gebissen hatte, auf dem gerade eine Wespe saß. Das Insekt hatte ihn in die Zunge gestochen. Ich musste einen Luftröhrenschnitt anlegen, um ihn zu retten. Holmes ließ sich an diesem Tag nur kurz blicken, interessierte sich aber nicht für meine Beobachtung.
»Nur Detektive minderer Klasse mischen sich in Liebesangelegenheiten ein«, beschied er mir kryptisch. Offenbar wusste er mehr als ich, gab aber wie meist keine Einzelheiten preis. Am folgenden Tag sah ich ihn gar nicht.
Zwischendurch begegnete ich mehrmals der bezaubernden Kunstschützin. Beim ersten Mal kam es zu keinem Gespräch, da sie in männlicher Begleitung war. Die beiden standen sich offensichtlich sehr nahe, und da wollte ich natürlich nicht stören. Beim zweiten Mal, einen Tag später, kam sie aus der Stadt zurück. Sie hatte einen Hut erstanden.
»Na, Doktor, wie steht er mir?«, fragte sie kokett.
»Ganz entzückend, Miss«, antwortete ich und zog mit einer tiefen Verbeugung meinerseits den Hut. »Er steht Ihnen ausgezeichnet. Ich wünschte, ich dürfte dieser Hut sein.«
»Wären nur alle Männer so charmant wie Sie, Doktor. Wenn ich da an die Cowboys denke. Und diese Kosaken!«
»Ist man Ihnen zu nahe getreten, Miss ...?«
»Oakley, Doktor. Annie Oakley. Aber nein, mir doch nicht. Diese Memmen haben viel zu viel Angst vor mir und meinem Colt. Es ist nicht leicht, eine Frau zu sein, die sich im Ernstfall zu wehren
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