Sherry Thomas
geholfen. Seine Zweifel hätten sich vielleicht wie die weiße Frau
eines Geisterhauses bei Tageslicht in die Wälder verzogen, nur um dann bei
Nacht im heulenden Sturm umso wütender herumzuspuken.
Ihr Schweigen hing schwer wie Blei
zwischen ihnen. Freddie schaute entsetzt drein. Sie war offenbar nicht die
Einzige, die sich an wortreiche Beteuerungen zu diesem Thema gewöhnt hatte, die
sie inzwischen mit der Effizienz einer gut funktionierenden Fabrik produzierte.
Trotzdem war sie nichts als eine Lügnerin. Das Luftschloss, das sie sich und
Freddie in den Wolken gebaut hatte, war ebenso unecht wie ein Bühnenbild.
Freddie ging ein wenig auf Abstand
zu ihr, als bräuchte er das, um sich über seine Gedanken und Gefühle
klarzuwerden. Noch konnte sie ihn einfach in den Arm nehmen, weiter tun, als
würde alles gut werden. Allerdings wäre das eine ungeheuerliche Lüge gewesen.
Man konnte es wirklich nur als
trauriges Zeichen ihrer Arroganz – und Naivität – bezeichnen, dass sie noch so
lange fest geglaubt hatte, ihn glücklich machen zu können, selbst wenn er
dasselbe für sie nicht vermochte. Bloß gab es eben keine glückliche Ehe mit nur
einem glücklichen Ehegatten. Entweder waren es beide oder halt keiner.
Am Rand der Weide holte Gigi ihn
ein.
»Das Licht hier ist gut«,
erklärte er halbherzig und wirkte dabei wie eins seiner geliebten
Impressionistengemälde: eine nachdenkliche melancholische Gestalt unter freiem
Himmel, im strahlenden Sonnenschein vor einer grünen Landschaft.
Gigi zeigte auf eine Stelle ein
Stück den Bach hinunter. »Siehst du die Weiden da ganz dicht beim Ufer? Da habe
ich Lord Tremaine zum ersten Mal gesehen.«
Gedankenversunken rieb Freddie die
Sohle seines Stiefels über einen Findling. »Liebe auf den ersten Blick?«
»Fast, jedenfalls ist es gleich am
ersten Tag passiert.« Sie holte einmal tief Luft und darin noch einmal. Es
wurde Zeit, reinen Tisch zu machen. »Gewissermaßen wurde ich zu einem Opfer
meiner Jugend und Unerfahrenheit. Ich war nie zuvor verliebt gewesen und konnte
mit diesen starken Gefühlen einfach nicht umgehen. Vor allem aber war ich mein
eigener schlimmster Feind – eigensüchtig, kurzsichtig, rücksichtslos. Natürlich
wusste ich genau, wie falsch es war, ihm vorzugaukeln, dass die Frau, die er
heiraten wollte, einen anderen genommen hatte. Aber ich habe es trotzdem
getan.«
Freddie rang nach Luft. Er hörte das
alles zum ersten Mal – sie hatte die Geschichte noch nie jemandem erzählt. Das
also steckte hinter ihrem ehelichen Zerwürfnis. Kein Wunder, dass ihn die
Wahrheit schockierte, sie war auch wirklich hässlich. Ein Ausdruck all der
Eigenschaften, die Gigi selbst am wenigsten an sich mochte.
»Ich habe mir damit drei glückliche
Wochen erkauft – ein vom ersten Augenblick an todgeweihtes Glück – und dann den
großen Zusammenbruch.« Sie seufzte. »Das Leben kuriert einen schnell von
der eigenen Arroganz.«
»Du bist
nicht arrogant«, erklärte Freddie bestimmt.
Oh Freddie, lieber, lieber Freddie.
»Vielleicht nicht mehr so schlimm wie früher, aber immerhin noch genug, um dir
die volle Wahrheit zu verschweigen – über meine Ehe, die Gemäldesammlung
...«
Sie nahm seine Hand und schüttelte
den Kopf. »Wenn es doch nur die Bilder wären. In dem
Punkt ist Miss Carlisle die perfekte Frau für dich.«
»Angelica will jemanden aus mir
machen, der ich nicht bin. Ich soll der nächste Bouguereau werden, der
berühmteste Künstler unserer Zeit. Nur bin ich weder dafür gemacht, berühmt zu
sein, noch besonders produktiv. Ich male sehr langsam, was mich auch überhaupt
nicht stört. Ich male, wonach mir gerade der Sinn steht und wenn ich Lust dazu
habe. Und ehrlich gesagt, macht es mir überhaupt keinen Spaß, darüber
nachzugrübeln, ob ein bestimmter Schatten nun ockerfarben oder veridiangrün
sein soll.«
Ihr Lächeln war voller Bedauern.
»Das verstehe ich durchaus. Trotzdem habe ich wirklich gehofft, zwischen Miss
Carlisle und dir würde sich vielleicht etwas ...«
»Ich liebe dich.«
»Und ich verehre dich
zutiefst«, erwiderte sie absolut aufrichtig. »Es gibt keinen besseren Mann
als dich. Dennoch, wenn wir beide heiraten würden, wären wir immer zu dritt in
unserer Ehe. Das hast du nicht verdient. Und es würde auch nicht lange dauern,
bis du es nicht mehr ertragen könntest.«
Sie drückte seine Hand. »Mich quält
das unablässig, Tag und Nacht. Du bist ein wunderbarer Freund. Und ich frage
mich immer wieder, wie ich dich
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