Sherry Thomas
Windmühlen gewesen.
Wie konnte sie ihn da jetzt im Stich lassen?
Der Bach war zu dieser Jahreszeit
klar und flach. Er murmelte, seufzte und glitzerte in der Sonne. Die Trauerweiden
ließen die Spitzen ihrer weichen Äste die Oberfläche des Wassers streicheln –
wie eine kokette Frau, die ihr offenes Haar stolz zur Schau stellt, indem sie
den Kopf immer wieder sanft hin und her dreht.
Gigi wusste nicht, was sie hier
eigentlich wollte. Hoffte sie etwa darauf, Camden würde nach Kosakenmanier den
Hügel heruntergaloppiert kommen und sie zu sich aufs Pferd ziehen? Erstaunt
über diese Idiotie schüttelte sie den Kopf.
Trotzdem verweilte sie am Bach. In
den letzten zehneinhalb Jahren hatte sie ganz vergessen, wie schön dieses
Fleckchen sein konnte, wie still. Es war nichts zu hören außer dem murmelnden
Lachen des Wassers, dem Rauschen der Blätter im Morgenwind, dem Mäh-Mäh der
Schafe auf der Weide hinter ihr, die den grünen Luzernenteppich abgrasten und
...
Hufgetrappel?
Ihr Herz setzte fast aus. Das Pferd
näherte sich über ihre Seite des Landes. Gigi wirbelte herum, raffte die Röcke
und lief die Böschung hinauf.
Doch es war nicht Camden, sondern
Freddie. Fast überwog die Überraschung ihre Enttäuschung. Bisher hatte sie
nicht einmal gewusst, dass Freddie überhaupt reiten konnte. Er saß etwas
seltsam im Sattel, klammerte sich aber verbissen fest und zwang das Pferd in
einem Zickzackkurs scheinbar durch pure Willenskraft voran.
Gigi lief ihm entgegen. »Freddie!
Sei vorsichtig!«
Beim Absteigen musste sie ihm dabei
helfen, den Fuß aus den Steigbügeln zu befreien, weil sich die Hacke seines
Stiefels darin verfangen hatte.
»Alles in
Ordnung, geht schon«, versicherte er rasch.
Erstaunt schaute sie auf ihre
Armbanduhr. Freddie kam normalerweise mit dem Zug um zwei Uhr dreizehn an, aber
jetzt war es noch nicht einmal elf. »Du bist ja früh hier. Stimmt etwas
nicht?«
»Nein, nein«, versicherte er
und machte das Pferd ungeschickt an einer Salzlecke fest. »Ich wusste nichts
mit mir anzufangen und habe deshalb einen Zug früher genommen. Schlimm?«
»Aber gar nicht! Du bist hier immer
willkommen.« Armer Freddie, jedes Mal, wenn sie ihn wiedersah, hatte er
abgenommen. Es gab ihr einen Stich. Ihr Liebling. Wie sehr sie sich wünschte,
dass er einfach glücklich war.
Sie küsste ihn auf die Wange. »Ging
es gut mit dem Malen gestern?«
»Die Picknickdecke ist schon fast
fertig.«
»Sehr schön«, erklärte sie und
freute sich über seinen Enthusiasmus, wie eine Mutter dies bei ihrem Kind getan
hätte. »Was ist mit den Sachen auf der Decke? Der Korb, der Löffel, der
angebissene Apfel, das offene Buch?«
»Daran kannst du dich so genau
erinnern?« Freddie wirkte ganz erstaunt.
Also war ihm nicht entgangen, dass
sie in letzter Zeit in Gedanken immer ganz woanders gewesen war. Wie hätte ihm
das auch entgehen sollen? »Natürlich tue ich das.« Wenn auch nur vage und
weil sie sich mehrfach danach erkundigt hatte. »Also, wie kommst du damit
voran?«
»Das Buch treibt mich zur
Verzweiflung, es liegt halb in der Sonne, halb im Schatten. Ich kann mich
einfach nicht entscheiden, ob die Schatten mit Ocker oder aber Viridian
angemischt werden sollen.«
»Was sagt denn Miss Carlisle
dazu?«
»Viridian. Deshalb bin ich ja jetzt
so unsicher. Ich dachte, Ocker würde passen.« Er machte ein paar Schritte
auf den Bach zu. »Ist das hier noch Briarmeadow? Ich kann mich gar nicht
erinnern, dass wir auf dem Anwesen je so weit vom Haus entfernt gewesen
wären.«
»Auf der anderen Seite des
Flüsschens beginnt das Land der Fairfords.«
»Das hätte eines Tages dir
gehört.«
Nachdenklich sah sie zu ihm hinüber,
erhaschte aber nur einen Blick auf sein Profil. »Ich besitze genug Land.«
Freddie seufzte. »Na, ich meinte
doch nur, falls du und Lord Tremaine euch nicht zerstritten hättet. Oder falls
eine Versöhnung möglich gewesen wäre.«
»Oder wenn Carrington nicht kurz vor
der Hochzeit gestorben wäre«, ergänzte sie. »Das Leben hält sich eben
nicht an die Pläne, die wir machen.«
Wie in den vergangenen Monaten
unzählige Male schon, wollte sie auch jetzt gerade etwas sagen, um ihn zu beruhigen.
Dann aber fiel ihr plötzlich auf, wie dumm das war. Freddie wusste Bescheid.
Selbst wenn er es nicht offen ansprach, war ihm klar, dass sich alles geändert
hatte.
Seine Befürchtungen ließen sich
nicht mit ein paar beschwichtigenden Worten vertreiben, selbst eine Hochzeit hätte
da nicht
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