Sherry Thomas
hierherzubegleiten.«
Damit drehte er sich zu Gigi um und
verbeugte sich erneut. »Es war mir wirklich eine außerordentliche Freude,
Miss Rowland. Jetzt weiß ich Sie in Sicherheit und guten Händen.«
»Aber Sie wollen doch wohl jetzt
nicht denselben Weg zurücknehmen?«, fragte Mrs. Rowland entsetzt. »Sie werden
sich in der Dunkelheit und dem Schneetreiben verirren. Nein, Sie müssen mit zu
uns kommen.«
Er protestierte, doch Mrs. Rowland
war sicher, dass es seinen Tod bedeutete, wenn er jetzt zu Pferd nach Twelve
Pillars zurückkehrte. Schließlich nahm er die Einladung zum Dinner an und auch
das Angebot, sich anschließend in einer warmen bequemen Kutsche heimfahren zu
lassen.
Gigi war darüber nicht sonderlich
glücklich. Lord Tremaine sollte so schnell wie möglich verschwinden, wenn es
nach ihr ging. Und wie ihre Mutter sich gebärdete, als sie ihn zum ersten Mal richtig
bei Licht sah, verbesserte Gigis Laune auch nicht. Es tat ihr sogar richtig weh
– ein scharfer Stich in der Brust –, mit ansehen zu müssen, wie Mrs. Rowland
ihn mit der fürsorglichen Aufmerksamkeit überhäufte, die sie ausschließlich für
mögliche Schwiegersöhne reservierte.
Dennoch legte Gigi ihr bestes
Abendkleid aus mitternachtsblauer Seide und Tüll an und ließ sich drei Mal umfrisieren.
Koste es, was es wollte, er sollte sie unbedingt schön und begehrenswert
finden.
Beim Dinner erfragte Mrs. Rowland
gleichermaßen geduldig wie geschickt die Einzelheiten aus der Biographie
seiner einundzwanzigjährigen Lordschaft. Er hatte das Leben eines wahren
Kosmopoliten geführt, wie es schien, und jede große Hauptstadt auf dem
Kontinent bereist sowie verschiedene berühmte Kurbäder.
Er benahm sich wie ein Fürst,
allerdings ohne die dazugehörige Arroganz, die man den meisten Mitgliedern des
Hochadels anerzog. Nicht nur würde er den Titel eines englischen Herzogs
erben, sondern war darüber hinaus durch seine Mutter, einer geborenen
Wittelsbacherin, mit dem Haus Habsburg, den Hohenzollern und Hannover selbst
verwandt, weil er ein Cousin des Herzogs von Sachsen-Gotha war.
Anders als bei Carrington, dessen
leerer Gesichtsausdruck einem langsam immer bewusster geworden war, erschien
der gut aussehende Lord Tremaine aufgrund seiner angenehmen Art und Intelligenz
mit jeder Minute attraktiver. Das machte die Sache nur noch schlimmer.
Mrs. Rowland war ganz offensichtlich
begeistert von ihm und schenkte Gigi bedeutsame Blicke. Unterhalte dich.
Umgarne ihn. Siehst du nicht, wie perfekt er ist? Aber Gigi war tief
unglücklich, und mit jeder Sekunde in seiner höchst angenehmen Gesellschaft
ging es ihr schlechter.
Nur war damit ihre Pein noch nicht
beendet. Nach dem Essen bat Mrs. Rowland den Marquess, doch etwas für sie auf
dem Klavier zu spielen, weil sie von der Duchess gehört hatte, dass er ein
guter Pianist war. Er kam der Bitte nach, als wäre er für die Bühne geboren.
Gigi starrte abwechselnd auf sein makelloses Profil, seine kräftigen Hände mit
den langen Fingern und ihren Schoß, während sie gegen ihre innere Verzweiflung
ankämpfte.
Der schlimmste Schlag aber ereilte
sie, als er sich erhob, um sich zu verabschieden, nur um feststellen zu müssen,
dass da draußen jetzt wirklich ein Schneesturm tobte. Mrs Rowland teilte Lord
Temaine selbstzufrieden mit, sie hätte schon drei Stunden zuvor einen Diener
mit der Nachricht zu seinen Eltern geschickt, dass ihr Sohn wegen des sich
verschlechternden Wetters über Nacht bleiben würde.
Gigi hatte es kaum erwarten können,
dass er sich verabschiedete, damit sie ihn danach nie wiedersehen musste. Wie
sollte sie nun eine Nacht unter demselben Dach mit ihm überstehen?
Camden konnte nicht einschlafen, was
allerdings nichts damit zu tun hatte, dass er sich in einem fremden Bett
befand. Daran war er gewöhnt, weil er nie ein richtiges Zuhause gehabt hatte,
stets von Stadt zu Stadt und Haus zu Haus gezogen war. Dabei hatte er
natürlich immer in fremden Zimmern geschlafen.
Es waren keine Lügen gewesen vorhin
beim Dinner, nein, er war wirklich an vielen berühmten Orten auf dem Kontinent
gewesen. Weggelassen hatte er bei seinen Erzählungen lediglich die wenig
ruhmreichen Gründe für dieses Nomadenleben. Seine Eltern besaßen nicht den allergeringsten
Geschäftssinn und hatten es sich daher nie leisten können, irgendwo dauerhaft
ihre Zelte aufzuschlagen.
Also reisten sie stets genau an die
Orte, die die reiche Elite Europas gerade verlassen hatte. Im Sommer, wenn sich
alles in
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