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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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einen Strudel von Panik zu geraten. Wo ist dieses Schloss? Wen kann
sie fragen ?
    Sie überquert eine Brücke mit Skulpturen trauriger
Seeungeheuer, stellt den Wagen ab und geht zu dem rasch dahinströmenden flachen
Fluss hinüber, wo sie ihr Gesicht wäscht und das Wasser durch ihre Finger
rinnen lässt.
    Am Ende der Brücke befindet sich ein Tor mit einem Schild,
das zwei gekreuzte Schwerter zieren; eine Pappelallee führt zu einem Gebäude,
das wie ein Schloss aussieht. Als Kate näher kommt, sieht sie, dass das Gebäude
die Miniaturausgabe eines echten Schlosses ist, mit Wassergraben und wuchtigen
Türmen. Zwei schwarze Schwäne gleiten auf dem dunklen Spiegel des Festungsgrabens
dahin wie mächtige Fragezeichen. Der Mann, der die Antworten weiß, erwartet
sie bereits und entspricht keineswegs dem Bild des affektierten Franzosen, das
sie sich gemacht hat. Er ist groß, breitschultrig, ein bäuerlicher Typ. Ihm sei
klar, dass sie heute noch zurückfahren werde, sagt er und geht rasch den Brief
holen.
    Zu rasch - ihr fällt zu spät ein, dass der Brief ja auf
Französisch verfasst ist. Und dass sie ihr Wörterbuch vergessen hat. Und dass
die Reise somit vergeblich war, denn man wird ihr nicht erlauben, den Brief zu
fotokopieren oder gar mitzunehmen. Zu viele Gedanken für eine Minute, denn
nach exakt dieser Zeit kehrt der Archivar zurück. War mein Französisch am
Telefon denn wirklich so schlecht, denkt Kate, dass er allein tätig wurde, ohne
dass ich ihn darum bitten musste?
    »Ich habe den Brief für Sie übersetzt, Mademoiselle - falls Sie Bedarf haben. Für die Rechtschreibung muss
ich mich entschuldigen; mein Englisch ist nicht so genug.«
    Hätte er mit derselben Effizienz als Bauer den Pflug
geschoben, denkt Kate, dann gäbe es hier im Dorf jetzt drei boulangeries. Sie setzt an, merci zu sagen,
aber Pierre Brisson ist schon verschwunden. Er respektiert ihren Wunsch nach
Ungestörtheit; ihre Neugier als Rechercheurin.
    Wenn er wüsste, worum es geht!, denkt Kate und wendet sich
der ersten Seite zu.
     
    Champagne, Frankreich 18. Juli 1748
     
    Hochachtungsvolle Grüße an Jakiw Polubotok, entboten von
seinem ergebenen Diener Grygorij Orlyk (Graf Orly). Ich stehe tief in Ihrer
Schuld, Jakiw, da Sie Ihre kluge, mutige Tochter gesandt haben, um unsere große
Sache zu unterstützen ... Für Sofia ist es eine lange, beschwerliche Reise,
doch bin ich gewiss, dass ihr Glaube und unsere Gebete sie wohlbehalten zu
Ihnen zurückführen werden.
     
    Sofia hat das vertraute Quietschen und Knarren der
ausgeleierten Radfedern wirklich nicht vermisst, dieses endlose, eintönige Geräusch.
Sie hatte ganz vergessen, wie unbequem die Festtagskutsche ihres Vaters ist.
Er wird so stolz auf sie sein! Es wird Tage, ja vielleicht Wochen dauern, bis
sie ihm all ihre Reiseerlebnisse erzählt hat. Mein Gott, wo soll sie nur
anfangen? Vielleicht bei ihrem Besuch in der Bibliothek des Titularbischofs in
Warschau, der zweitgrößten Bibliothek nach der Biblioteca Apostolica Vaticana - 300000 Bände! »Am liebsten würde ich in diesen Sälen
tagelang kampieren, tato, ganz im
Ernst!« Und dort hat sie ihren ersten leibhaftigen Engländer kennengelernt. Mr
Williams, ein Dichter und Reisender, sprach viel besser Latein als sie. Als Sofia
ihn nach England fragte, rief er aus: »Ein wunderbares Land, fast so frei wie
Polen!«
    Oder sie könnte mit London beginnen, der größten Stadt der
Welt. Mit ihren Farben und Geräuschen, den Ranelagh Pleasure Gardens und den
Kaffeehäusern. Aber gefährlich ist es in London! Sie wird tato von den
Taschendieben in den bevölkerten Straßen erzählen, vor allem in der Nähe der
Bank und -
    Nein, sie wird mit ihrer glücklichsten Erinnerung
beginnen. Mit dem Tag, als sie aus London nach Frankreich zu den Orlys zurückkehrte
und der Graf und die Gräfin sie mit zu ihren Nachbarn nahmen.
    Diese »Nachbarn« wohnten eine zweistündige Kutschfahrt entfernt.
Sofia konnte es kaum fassen, als sie die geometrische Pracht der Gärten
erblickte - grüne Quadrate, Kreise, Dreiecke, unterteilt durch die Linien der
Kiespfade. Die Gastgeberin selbst wirkte wie ein kompliziertes mathematisches
Instrument, ähnlich dem, das Sofia einmal im Cabinet de
Lecture, der Akademiebuchhandlung, gesehen hatte. Sie war eine
hochgewachsene, schlanke Frau, die sich sehr aufrecht, ja beinahe steif
bewegte. Und ihr Verstand passt dazu, dachte Sofia, als ihr der Graf erklärte,
dass la Marquise du Châtelet eine
Gelehrte sei, die acht

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