Shevchenko, A.K.
Stunden täglich arbeite und Bücher über Physik und
Algebra verfasse.
Die Marquise berührte mit ihren langen, knochigen Fingern
Sofias Handgelenk und führte sie in die Eingangshalle, wo sie vom
glockenhellen Gelächter eines hübschen Mädchens empfangen wurden; das Mädchen
eilte ihnen lächelnd durch die Zimmerflucht entgegen, umwogt von
weißgebauschtem Taft. Sie glich einer schwerelos-heiter dahinschwebenden Wolke
an einem blauen Sommerhimmel, gefolgt von den rollenden R des fernen Donners in
Gestalt einer alten Dienerin, die hinterherkeuchte: »Arretez,
Eloise! Arretez!«
Die Empfindung eines warmen, frischen Sommerregens begleitete
Sofia den ganzen Abend. Die Gäste glichen dem Ensemble einer köstlichen
Komödie, und Regie führte ein Mann mit eingefallenen Wangenknochen. Seine
funkelnden Augen versprühten solch ansteckende Energie, dass die ganze
Versammlung unablässig plauderte und lachte. Er war der Einzige, der beim
Essen Kommentare abgab; er hatte das Stück für die Marionettenaufführung
verfasst; und als man begann, Gedichte zu rezitieren, übertraf sein Vortrag den
aller anderen. Während die übrigen Gäste Menuett tanzten, lud dieser
temperamentvolle Herr Sofia zusammen mit ihren Gastgebern, dem Grafen und der
Gräfin, in sein Studierzimmer ein. Unvermittelt, mit einer ruckartigen Bewegung,
zog er ein schmales Bändchen aus dem Regal und reichte es Sofia.
»Er möchte dir das Buch schenken«, erklärte der Graf
lächelnd. »Er war in Europa der Erste, der über die Ukraine geschrieben hat,
Sofia.«
Sofia betrachtete den Einband: Histoire
de Charles XII, Rouen, 1731. Autor: Francois-Marie
Voltaire. Sofia erinnerte sich, dass es an der Akademie hinter
vorgehaltener Hand Gerüchte über diesen einflussreichen Franzosen gegeben
hatte, der es in seinen Schriften sogar wagte, die Kirche anzugreifen. Der
Franzose, der Könige und Regierungen durch Spott vernichtete. »Merci«, brachte
sie schließlich heraus, das einzige französische Wort, das sie gelernt hatte.
Als sie sich von dem Grafen und der Gräfin verabschiedete,
drängte Helene ihr einen riesigen Muff auf. »Das ist in Paris der dernier
cri, ma chere! Manche Damen tragen sogar ihre Hündchen im Muff
spazieren! Oh, und vergiss bitte nicht ...« Der Graf wandte sich seufzend an
Sofia. »Dytynko, wenn du jetzt nicht losfährst,
schaffst du es nie!«
Sofia lächelte. Sie trug ihre neue Verkleidung, hatte
Voltaires Buch sicher im Gepäck verborgen und war nun bereit, die Rückreise anzutreten.
Glaubte sie jedenfalls.
Schon nach fünf Stunden fällt ihr wieder ein, wie
unkomfortabel ihres Vaters Kutsche tatsächlich ist. Oh, sie muss Wassil bitten
anzuhalten, sie erträgt diese Tortur nicht länger! Als könne er ihre Gedanken
lesen, brüllt er: »Festhalten, Sofia!«, und sie hört sein schallendes
Gelächter, als er die Pferde im Galopp den steilen Hang hinunterjagt.
Ein höfliches Hüsteln holt Kate in die Realität zurück.
Pierre Brisson steht an ihrem Schreibtisch und versucht sie auf sich aufmerksam
zu machen. Kate hat das Gefühl, dass sie inzwischen eine Facharbeit über
»Verhaltensmuster europäischer Archivare« verfassen könnte - erst präsentieren
sie ein Dokument, das die Welt der Rechercheurin unter Umständen komplett
verändert, dann hüsteln sie ihr höflich ins linke Ohr, bevor sie weitere
Dokumente bereitstellen. Pierre Brisson und Jolly Roger sollten vielleicht mal
miteinander reden.
»Mademoiselle, ich weiß nicht, ob Sie Interesse
haben, aber wir besitzen auch noch den Entwurf eines Briefs von Marechal Lecoq
an einen litauischen Fürsten, ansässig in Warschau. Dies ist ein weiteres
Dokument, in dem die Namen Orly und Polubotok zusammen Erwähnung finden. Ich
habe es in meinem Brief an Sie nicht zur Rede gebracht ... Verzeihung, zur Sprache gebracht,
da es nur ein Entwurf ist, nur ein Briefanfang - pas
beaucoup. Da Sie nun aber heute hier sind, habe ich beschlossen, es
Ihnen zu zeigen, nur für den Fall, dass es Sie interessiert.«
Er legt ihr einen Brief hin. Auf dem verblassten Papier
stehen nur vier Zeilen, aber mit so vielen kalligraphischen Schnörkeln und so
vielen Streichungen, dass sie nicht einmal erkennen kann, in welcher Sprache
sie verfasst sind. Braucht sie auch gar nicht. Pierre Brisson hat eine
handschriftliche Übersetzung verfasst. ... und so, wie ich gestern in
Child's Kaffeehaus in der Nähe der Bank of England mein höchst anregendes
Treffen mit der äußerst geistreichen Elizabeth
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