Shevchenko, A.K.
der französischen Krone. Sorry, Kate, aber französische
Monarchie klingt wahrscheinlich besser. Also: Ukrainer
im Dienst der französischen Monarchie - ein Artikel von Wera Maxymowitsch.« Marina
bricht ab. »Wer ist diese Wera Maxymowitsch? Der Name kommt mir irgendwie
bekannt vor ...« Kate denkt an Andrijs Worte: »Es gibt noch einen Menschen, den
wir dazu befragen müssen. Wenn irgendjemand alle Details dieser Geschichte mit
dem Gold kennt, dann sie.«
»Sie ist Historikerin, die Freundin eines Freunds«, sagt
sie zu Marina. »Ich hab sie auf Bitte jenes Freunds in Kiew aufgesucht. Sie
hat mir den Artikel gegeben. Eigentlich sollte ich am nächsten Tag
wiederkommen, aber andere Verabredungen ließen mir keine Zeit dazu.
Wahrscheinlich sollte ich mich in einem Brief bei ihr entschuldigen.«
Kate ist überrascht, wie leicht ihr die Worte über die
Lippen gehen. Sie klingt, als hätte sie keinerlei Schuldgefühle, weil sie das
wichtige Treffen mit der Professorin versäumt hat. Hübsch, wie sie den Ausflug
nach Lemberg, den Horror der Rückfahrt mit dem Zug und die Begegnungen mit dem
Metropoliten und dem Präsidenten kurz und knapp unter »andere Verabredungen«
subsumiert. »Ukrainer im Dienste der französischen Monarchie.« Diesmal
rezitiert Marina den Titel, als kündige sie bei einer Konzertveranstaltung
den nächsten Künstler an. Sie seufzt erneut, ein wenig zu laut, und sieht Kate
an. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du dich so sehr für französische
Geschichte interessierst. Können wir das nicht später machen? Ich hatte
gehofft, du könntest heute das Kleid anprobieren, weil du ja die letzte Anprobe
verpasst hast. Hier, ich hab dir Saschenkas Schulfoto mitgebracht. Du wirst ihn
am Sonntag gar nicht mehr erkennen, so groß ist er geworden!« Sie macht
Anstalten, Kate den Artikel zurückzugeben. »Marina, können wir das bitte erst
zu Ende bringen?« Kate schiebt die Papiere zurück. Hoffentlich fällt ihr noch
eine Ausrede für ihr plötzliches Interesse an diesem ukrainischen Artikel ein
und eine weitere Ausrede, um Marina gleich wegschicken zu können, wenn sie mit
Vorlesen fertig ist. Sie überlegt so angestrengt, dass Marinas Worte zu einem
fernen Echo verwehen.
»Befragen Sie einen beliebigen Ukrainer zum Titel dieses
Artikels, und er wird sofort erraten, dass es sich um Anna Jaroslawna handelt.
Und so ist es tatsächlich. Die älteste Tochter von Jaroslaw, dem Großfürsten
von Kiew, wurde im 11. Jahrhundert Königin von Trankreich, als sie den
französischen König Heinrich 1. im Mai
1051 in der Katherale von Reims heiratete (einigen Forschern zufolge 1049). Vom
Chronisten eines französischen Mönchsklosters wurde sie als >eine der
gebildetsten Frauen Europas< bezeichnet, und zu Recht: Sie konnte lesen und
schreiben (was der König nicht konnte) und sprach mehrere Sprachen. Anna nahm
das Evangeliar ihrer Familie mit nach Frankreich, und als sie bei der
Krönungszeremonie den Eid schwor, legte sie die Hand auf ihr eigenes, in
kyrillischer Schrift verfasstes Evangeliar. Dieses heilige Evangeliar fand bei
den Krönungszeremonien aller französischen Könige von 1059 bis 1793 Verwendung.
Das Evangeliaire von Reims, als das es bekannt wurde, wird in der
Manuskriptabteilung der Städtischen Bibliothek Reims aufbewahrt... Von
diesem Evangeliar hatte ich ja keine Ahnung.« Marina blickt von dem Artikel
auf. »Wir haben zwar alle in der Schule von ihr gehört - Anna, Königin von
Frankreich -, aber nicht so detailliert.«
Kate will Marina bitten weiterzulesen, da ihr noch keine
Ausrede eingefallen ist; aber es ist gar nicht nötig. Ihre Freundin, die der
Artikel aufrichtig interessiert, fährt freiwillig fort: »... Wir
wollen Annas Geschichte hier nicht noch einmal wiederholen, denn es wurde
schon so viel über sie geschrieben. Stattdessen möchten wir unsere
Aufmerksamkeit einem Thema zuwenden, das in Publikationen nur selten auftaucht
- der Verbindung zwischen den ukrainischen Kosakenfamilien zum französischen
Hof im 18. Jahrhundert. Falls Sie auf dem Weg zum Flughafen Orly je auf dem
berühmt-berüchtigten Boulevard Peripherique im Stau gesteckt haben, käme es
Ihnen wohl kaum in den Sinn, dass der Name dieses Flugplatzes direkt mit einer
der weltweit ersten demokratischen Verfassungen zusammenhängt, fetzt fragen Sie
sich vermutlich, wie. Es ist weniger kompliziert, als Sie denken.
Der Flughafen Orly wurde auf einem Stück Land gebaut, das
dem französischen Grafen Orly gehörte. Er war
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