Shevchenko, A.K.
ein
Hochzeitsgeschenk? Hierher - für Kate? Nein, das muss sie für die Hochzeit
ihrer Freundin bestellt haben. Da hat sie Ihnen wohl versehentlich die
Anschrift der Kanzlei gegeben. In letzter Zeit war sie aus irgendeinem Grund
ziemlich zerstreut. Nein, Sie brauchen sie nicht anzurufen, ich kenne ja ihre
private Anschrift. Schicken Sie es bitte an ...« Taras stößt einen tiefen
Seufzer der Erleichterung aus, als er die Kanzlei verlässt. Er sieht auf dem
Stadtplan nach und denkt, dass er per Taxi am schnellsten hinkommen wird.
KATE
Es ist fünf vor fünf, als sie endlich die Autoschlüssel
findet. Sie wirft einen letzten Blick in den Spiegel; ihr Outfit muss zum Anlass
passen. Das Kleid, das sie bei der Hochzeit am Sonntag als Trauzeugin tragen
wird, eignet sich gut. Fließender Stoff, tiefer Ausschnitt, aber so eng in der
Taille, dass sie die Luft anhalten musste, um den Reißverschluss zuzuziehen.
Hoffentlich platzen nicht vor den Augen des Präsidenten und der Journalisten
die Nähte! Dann verlässt sie rasch die Wohnung. In der Stadt wimmelt es von
Sicherheitskräften, was man von Parkmöglichkeiten leider nicht sagen kann. Kate
kommt sich albern vor, als sie in High Heels und dem engen, langen Kleid an
johlenden Kneipengängern vorbei zum Rathaus stöckelt. Als sie dort ankommt,
hat sich der lange Strom von Gästen schon zu einem schmalen Rinnsal von
Nachzüglern ausgedünnt. »Ihre Einladung, Madam?« Ein Wachmann mit dem Abzeichen
des Rathauses am Blazer lächelt sie an.
»Die Einladung?« Der einzige Moment in ihrem Leben, den
sie noch peinlicher fand, war damals, als sie der Ehefrau eines ihrer Chefs ein
Glas Rotwein auf die weiße Seidenbluse geschüttet hat. »Hab ich nicht dabei,
tut mir leid. Aber ich habe meinen ... Ausweis für die Bibliothek der Law
Society dabei, da sind mein Foto und mein Name drauf - oh, und natürlich meinen
Führerschein.«
»Bedaure, Madam, aber heute Abend herrscht höchste Sicherheitsstufe.
Wir benötigen Ihre Einladung.« Das Lächeln des Wachmanns gilt bereits der
Person hinter ihr. Was ihn betrifft, ist Kate als Gast schon nicht mehr
existent. Sie denkt über ihre Optionen nach: A, B und C. Option A: Sie kann
vor dem Rathaus warten, bis der Präsident herauskommt. Quer über den Hof
schreien, inmitten von Presse und Sicherheitspersonal. Das gäbe tolle
Schlagzeilen für die Morgenzeitungen: Eine neue Generation militanter
Umweltschützer.
»Tun Sie es nicht, Herr Präsident!«, brüllte die Menge
gestern Abend vor dem Rathaus. Sie protestierten gegen die Entscheidung des
ukrainischen Präsidenten, zwei Kernreaktoren in Tschernobyl wieder in Betrieb
zu nehmen.
Garniert mit dem Foto eines Mädchens in einem langen
grünen trägerlosen Kleids, halb erfroren, weil sie gut drei Stunden im Freien
gewartet hat, mit roter Nase und nassem, zerzaustem Haar.
Option B.: Den Wachmann bitten, dass er den
Privatsekretär des Präsidenten ausfindig macht, den Teigbatzenmann, der sich in
Kiew um sie gekümmert hat. Wenn er herauskäme, würde sie ihn bitten, dem
Präsidenten ihre Botschaft zu übermitteln. Kate blickt zum Eingang, wo gerade
der letzte Gast verschwindet. Vermutlich wäre der Privatsekretär jetzt keine
Sekunde abkömmlich. Außerdem, wer sagt denn, dass dieser arrogante Wachmann
ihr überhaupt helfen würde?
Bleibt nur noch Option C: Den
Präsidenten morgen in der Hotellobby abzupassen, wenn er zu seinen
Vormittagsterminen aufbricht, und ihre peinlichen sieben Sekunden dann zu
absolvieren, inmitten seiner Entourage. Wenn sie Glück hat, erkennt er sie sogar
und erinnert sich an ihre Begegnung. Ganz sicher aber wird er sich an sie
erinnern, wenn sie ihm ihre Botschaft nicht überbringt.
Es ist halb sieben. Kates Golf kämpft sich durch den
Freitagabend-Stoßverkehr. Bis jetzt hat sie Glück; zumindest fließt der Verkehr
auf der Marylebone Road Richtung Paddington. Wenn auch zäh, Stoßstange an
Stoßstange.
Dieser Wagen hinter ihr fährt viel zu dicht auf. Zu dicht
für mich und für ihn, denkt Kate, als sie einen Blick in den Rückspiegel wirft.
Das Gesicht des Fahrers ist zu einer Maske der Konzentration erstarrt, seine
Hände umklammern das Lenkrad - offenbar kein Londoner, er kennt sich nicht aus.
Er ist dunkelhaarig, sonnengebräunt, mittleren Alters. Bulgare? Rumäne? Nach
der Straßenüberführung beruhigt sich der Verkehr, und Kate gibt Gas. Sie hat
es satt - schon seit einer halben Stunde kriecht sie hinter diesem Lastwagen
her, auf dessen
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