Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
Vom Netzwerk:
man
einem Staatsoberhaupt derart wichtige Dokumente aushändigt,
tut man das doch nicht aufgrund der Anweisungen eines Klienten! Und noch etwas:
In einer so wichtigen Angelegenheit hätten ihr Chef oder ihre Chefin
persönlich erscheinen müssen. Warum hat man sie geschickt,
ohne Begleitung?« Die überraschende Entdeckung der Dokumente kam im richtigen
Augenblick, kurz vor seinem offiziellen Besuch in Großbritannien. Gerade vor
drei Monaten hatte er ein Interview gegeben, in dem er die Gold-Story als
Legende abgetan hatte.
    Aber tief in seinem Herzen hatte er immer gewusst, dass
sie wahr war. Er hat mit Experten gesprochen, hat Berichte gesehen ... hat nur
nie genügend Zeit gehabt, sich intensiv damit zu befassen. Und dann lächelte
ihm das Schicksal freundlich zu, indem es ihm dieses ernste Mädchen sandte.
    Er wird die Dokumente morgen offiziell dem Premierminister
präsentieren. Wenn diese Geldsumme zurückerstattet würde, stünde sein Land
endlich nicht mehr am Rand einer Krise; zumindest könnte man die Pensionen und
Löhne der Bergleute, Lehrer und Ärzte bezahlen. Auch die Abhängigkeit vom
russischen Gas wäre keine so große Sorge mehr. Die Alternative könnte die
kostspielige Schiffsroute übers Schwarze Meer sein ... Und er selbst würde sich
von einem nationalen Sündenbock in einen Nationalhelden verwandeln, was ihm
bei den nächsten Wahlen sicherlich zugutekäme.
     
    Heute war ein harter Tag gewesen. Er hatte von morgens bis
abends Hände geschüttelt, genickt, gelächelt und freute sich jetzt auf die
wohlverdiente halbe Stunde Pause vor Beginn des Abendprogramms. Aber leider wurde
nichts draus. Fünf Minuten später kam der Chef der Protokollabteilung ins
Zimmer gestürmt und sagte: »Draußen wartet der Privatsekretär des
Premierministers, Herr Präsident, und bittet um ein siebenminütiges informelles
Treffen mit Ihnen! Diese außerplanmäßige Begegnung wurde nicht zwischen den
Protokollabteilungen abgesprochen. Da es sich also um keinen offiziellen
Programmpunkt handelt, haben Sie das Recht, die Unterredung abzulehnen, unter
Hinweis auf einen Bruch des Protokolls. Andererseits handelt es sich vielleicht
um etwas Wichtiges, das, falls wir ablehnen, morgen das offizielle Treffen mit
dem Premierminister tangieren könnte.« Der Präsident hob die Hand und
durchschnitt mit einem Wink die Luft. Diese Geste kann, wie der Protokollchef
weiß, mehrere Bedeutungen haben:
    »Um Himmels willen, kann ich nicht mal einen Moment
Ruhe haben, wie jeder andere Mensch?«
    »Sie reden zu viel! Tun Sie einfach, was unter solchen
Umständen getan werden muss.«
    »Na gut, bitten Sie ihn rein, wo er schon mal da ist.« Der
Protokollchef - bleich und angespannt, gestresst vom ersten Tag des
Staatsbesuchs - interpretierte die Geste als Mischung aus zweiter und dritter
Option und kehrte kurz darauf mit einem hageren, grauhaarigen Mann im
dunkelblauen Nadelstreifenanzug zurück.
    Wie machen die das bloß ? Sie sehen immer so weltmännisch
aus, ohne dass es angestrengt wirkt, dachte der Präsident, während ich einen
ganzen Stab von Designern und Imageberatern um mich habe und trotzdem ständig
von der Presse kritisiert werde, ich sähe nicht wie ein Präsident aus!
    Nach dem üblichen Austausch nichtssagender Höflichkeiten
blickte der Privatsekretär dem Präsidenten, der nicht wie ein Präsident aussah,
direkt in die Augen und sagte: »Der Premierminister freut sich auf die morgige
Begegnung mit Ihnen, Herr Präsident. Da ist nur ein Punkt auf der Agenda, der
ihn etwas beunruhigt hat - ja, er hat mich sogar gebeten, diesen Punkt vorher
mit Ihnen zu klären, ehe er offiziell zur Sprache kommt. Ich spreche von der
Vorlage der Dokumente, mit denen jenes Erbe zurückgefordert
werden soll.« Der Dolmetscher des Präsidenten bemerkte zwar die Betonung von
»jenes Erbe«, konnte die Nuance aber nicht übersetzen. Das war auch gar nicht
nötig: Der Präsident wusste genau, worauf der Privatsekretär anspielte.
    Mein Gott, dachte er wieder. Wie machen die das bloß? In
der Agenda, die man der britischen Seite für die morgigen Gespräche übergeben
hatte, war das Erbe mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr hatte er vorgehabt, das
Thema ganz überraschend aufzutischen, wenn Punkt sieben der Agenda erreicht
war: Sonstiges. Steckt das Mädchen dahinter?,
schoss es ihm durch den Kopf - doch sie schien für so etwas zu schüchtern! Oder
sein Protokollchef? Er, der Präsident, wartete ja längst auf eine Gelegenheit,
ihn loszuwerden:

Weitere Kostenlose Bücher