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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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einen
»flüssigen Weihnachtspudding«, wie sie einmal ihren Schulfreundinnen erklärte,
aus gedünstetem Mohnsamen, Weizen, Rosinen, Honig und Nüssen. Ihr Herz schlug
schneller in Erwartung des Augenblicks, wenn das nach dem reichlichen Mahl
entspannte Tischgespräch verstummte und ihre Großmutter feierlich eine große
Suppenterrine hereintrug. Jetzt kam der Moment, wo alle im Geschmack vereint
waren, der seltene Moment, wo ihre Mutter ihrem Vater zulächelte und ihr
kleiner Bruder endlich stillsaß. Kate wurde der Pudding stets zuerst serviert.
Sie war die Hauptperson bei der »Zeremonie des Ersten Löffels«. Babusya erkundigte
sich dann jedes Mal bange: »Wie schmeckt's?« Und Kate tat - wobei sie jedes
Wort abwog, als wahre Kennerin - ihr offizielles Urteil kund:
    »Nicht schlecht, Babusya. Kann ich
noch mehr davon haben?«
    Kutja an einem anderen Tag des Jahres zu
essen hätte den Zauber zerstört, und so freute sich Kate stets aufs nächste
Jahr, auf ihr exklusives Recht, das Urteil über diese Speise zu fällen. Doch
abgesehen von dem doppelten Weihnachtsfest und der Melodie ihrer
Kindheitsgebete hatten Kates ukrainische Wurzeln keine größere Rolle in ihrem
Leben gespielt. Sie waren ein Echo aus der Vergangenheit, etwas Ungewöhnliches,
das sie jedem neuen Freund erklärte oder auch nicht, um ihren Nachnamen zu
erklären, in dem Vokale über Cluster von Konsonanten purzelten.
    Kates Name wird immer falsch buchstabiert, und auf der
Karte, die jetzt vom anderen Ende des Konferenzraums zu ihr herüberschimmert,
sieht sie schon wieder eine neue Schreibweise. Um zu ihrem Platz zu gelangen,
muss sie direkt am Redner vorbeigehen (oder rennen, kriechen - du hast die Wahl,
denkt sie reuevoll). An einem anderen Tag wäre sie lieber vor Scham in den
Boden versunken oder hätte an der Tür gewartet, bis die Konferenz beendet ist.
Heute jedoch, wie betäubt von Kopfweh und Müdigkeit, ist ihr das irgendwie
egal.
    Während sie überlegt, ob sie sich an der Wand
entlangschieben und dann rasch zu ihrem Stuhl laufen oder quer durch den Raum
geduckt zu ihrem Platz spurten soll, kündigt der Konferenzleiter den letzten
Redner, den ukrainischen Finanzminister, an. Bei den Zuhörern regt sich echtes
Interesse, nicht nur weil er der letzte Redner ist. Er ist jung und dynamisch
und spricht überraschend gut Englisch. Kate merkt, dass seine Rede ihre letzte
Chance ist, an ihren Platz zu gelangen, und macht sich bereit. »Was wissen Sie
über mein Land?«, beginnt er. »Vielleicht, dass es über die fruchtbarste
schwarze Erde in ganz Europa verfügt, vergiftet durch die
Tschernobyl-Strahlung ...«Er hält inne. Kate bewegt sich vorwärts, den Blick
fest auf ihren Platz geheftet, schafft es aber nicht mehr rechtzeitig. Sie
bleibt mitten im Raum wie angewurzelt stehen und erntet missbilligende Blicke,
während der Minister fortfährt: »Oder vielleicht kennen Sie die Ukraine als
Land guter Fußballer und hübscher Mädchen?« Das Publikum lacht, und Kate
sprintet an ihren Platz. Sie merkt, dass sie rot wird, so als lachten die Leute
über sie. Sie zieht den Stuhl zurück und setzt sich, gerade als der Minister zu
ernsteren Themen übergeht.
    »Die Ukraine ist im Westen nicht besonders gut bekannt,
und doch ist sie, vom Territorium her betrachtet, das zweitgrößte Land Europas
und von der Bevölkerung her das fünftgrößte, und ...« Kate entspannt sich und
lässt ihre Gedanken schweifen. Sie wirft einen Blick auf das Programm und die
Teilnehmerliste, die man ihr an der Tür in die Hand gedrückt hat:
Repräsentanten von Firmen, die neue Märkte erschließen wollen, City Analysts,
ein paar Politikstudenten, mehrere Journalisten. Sie haben bereits zwei Stunden
lang zugehört und tragen eine Miene intellektueller Aufmerksamkeit zur Schau. Kate
bemerkt einen jungen Mann, der ihr gegenüber am Tisch sitzt. Wahrscheinlich ist
er gar nicht mehr so jung, doch seine Ponyfrisur und die Sommersprossen
verleihen ihm ein jungenhaftes Aussehen. Einer dieser »großen Jungs«, die nie
zu altern scheinen, denkt Kate. Der Junge - diesen Spitznamen hat sie ihm
bereits gegeben - hält den Kopf gesenkt und starrt zu Boden. Sie ist sich nicht
sicher, ob dies mit den Ausführungen des Redners zusammenhängt oder ob es sich
um einen Leidensgenossen handelt, der wie sie nachts durch die Clubs gezogen
ist.
    Kate wendet ihre Aufmerksamkeit dem Minister zu. Jedes
Mal, wenn er mit der Hand seinen wuchtigen Kiefer berührt - der Kiefer eines
stämmigen

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