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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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Anstrengung, die
Kopfschmerzen abzuschütteln, steigt sie schwankend in die Dusche und stellt den
Hebel nach kurzem Zaudern auf Blau. Das eisige Wasser hilft ein bisschen, und
plötzlich denkt sie über ein Thema nach, dem sie schon seit drei Monaten auszuweichen
versucht - ihre Beziehung zu Philip. Wann haben sie damit begonnen, diese Mauer
zwischen sich hochzuziehen? Tagtäglich fügen sie kleine Glasziegel hinzu und
zementieren sie mit Missverständnissen und Schweigen. Noch können sie sich
sehen, noch schaffen sie es manchmal, sich über die Mauer hinweg etwas
zuzuschreien, während sie gleichzeitig in sinnlosen Wortgefechten ihre
Bautechnik perfektionieren. Vor kurzem in der Feinkostabteilung des
Supermarkts, beim Warten an der Käsetheke, hat sie die Beschreibungen der
einzelnen Sorten studiert. In dem Versuch, die Geschmacksknospen der Kunden zu
verfeinern, unterschieden die Supermarktexperten zwischen fünf Stärken -
»herzhaft-vollmundig«, »sehr kräftig«, »reif«, »mild«, »sehr mild«.

So war ihre Beziehung am Anfang gewesen -
»herzhaft-vollmundig« und »sehr kräftig«. Kate war Philip bei der
Immatrikulationsfeier zufällig in der überfüllten Buttery Bar begegnet. Man
hatte sie buchstäblich dazu gedrängt, ihn kennenzulernen. Die aufgekratzte
Stimmung durch spontan geschlossene Freundschaften und reichlichen
Alkoholgenuss führte zu unkontrollierten, fahrigen Gesten, und plötzlich
schubste irgendjemand sie mit dem Ellbogen gegen Philips Rücken. Sie spürte
seine Schulterblätter durch den Baumwollstoff, atmete Zigarettenrauch,
vermischt mit Lavendel. Als ein vertrauter Waschmittelduft hinzukam, wurde sie
von Heimweh überwältigt. Einen Moment lang stand sie da, verloren und
verletzlich, dann drehte er sich um. Nachts landeten sie in ihrem Zimmer.
Inzwischen waren sie schon ziemlich betrunken und liebten sich hastig,
leidenschaftlich, gierig. Erst später brachten sie einander Zärtlichkeiten bei.
    Sie wurden unzertrennlich. Einmal, während einer Aufgabe,
die sie im Rahmen der Rag Week genannten
»Narrenwoche« lösen mussten, humpelten sie sogar den ganzen Tag
aneinandergefesselt über den Campus, schleppten sich, an Knöcheln und Ellbogen
zusammengebunden, in die Vorlesungen, malten sich aus, wie sich wohl
siamesische Zwillinge fühlen mochten. Und sie kicherten und lachten. Philip
studierte Mathe, Kate studierte Geschichte. Für Philip war ihr Studienfach eine
endlose Quelle für Witzeleien. »Mal im Ernst, Kate, wie kannst du so was
studieren: >Proteste im England der PlantagenetsWie willst du das jemals praktisch anwenden?«
    »Du kapierst es nicht, wie?« Kate rang um Geduld. »Du
kennst doch Macpherson, unseren Tutor, der immer diese handgestrickten Pullover
trägt. Schau mal, was der geschrieben hat: History
muss man ganz persönlich begrüßen. So, als würde man sagen: »Hi, Story!« Man
blickt auf die Geschichten realer Menschen, untersucht Lebensläufe, die durch
Entscheidungen von Politikern zerstört wurden, analysiert Machtkämpfe, die von
Individuen geführt wurden, sieht, wie sie das Leben von Millionen Menschen
beinflussen.
    Ich bin mit dieser Art von Geschichte aufgewachsen,
Philip. Meine Babusya - meine ukrainische Oma, Vatis
Mutter - hat mir all die Geschichten über die Kosaken erzählt, als ich klein
war, und ich hab mir einen tapferen Jungen in einer leichten tschaika vorgestellt
oder einen betrunkenen Oberst auf einem Pferd. Hör auf, Phil, sonst mach ich
mich über deine mathematischen Formeln lustig - die sind so trocken und leblos
wie aufgespießte Insekten! Und wenn du fragst, welch praktischen Nutzen ein
Geschichtsstudium hat, bitte: Es schenkt dir eine Perspektive, es schenkt dir
soziale Kompetenz<, die ganze Palette, und es wird mir auf jeden Fall bei
einem Law Conversion Course zugutekommen.« Ihre Hochschule galt als
Eliteuniversität, und beim jährlichen Besuch der Wirtschaftsunternehmen, die
an der Uni um neue Mitarbeiter warben, hatte Philip einen Job in einer großen
Wirtschaftsprüfungskanzlei in der City bekommen. Kate war dageblieben, um den
Law Conversion Course zu absolvieren. In diesem Jahr sahen sie sich nicht oft
und telefonierten, als lebten sie auf zwei verschiedenen Planeten: Er war
erfüllt von seinem neuen Job und dem aufregenden Leben in London, während sie
sich verzweifelt abrackerte, um doch noch akademische Würden zu erlangen. Ein
Abschluss mit Auszeichnung blieb zwar nur ein Traum, aber immerhin

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