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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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Fußballers -, oder, um irgendeinen Punkt zu unterstreichen, die
flache Hand aufs Pult fallen lässt, drohen seine breiten Schultern den
Armani-Anzug zu sprengen. Kate ermahnt sich, dass ihr »Anwesend-abwesend-Sein«
nur funktioniert, wenn sie Carol von etwas Substanziellerem berichtet als von
ihrer Bewunderung für den attraktiven Minister.
    Das fällt ihr gerade noch rechtzeitig ein vor seiner
Schlussbemerkung: »Aber mein Land bietet noch viele andere verborgene Schätze.
Entdecken Sie sie, arbeiten Sie mit uns zusammen, und diese Schätze werden für
Sie arbeiten.« Seinen letzten Worten folgt ein Wirrwarr aus Geräuschen -
zustimmendes Gelächter, eine Woge erleichterten Beifalls, das Rücken von
Stühlen. »Ein gutes Ende der Konferenz, Zeit fürs wohlverdiente Mittagessen.«
Ein Mann mit gelber Krawatte, der neben Kate steht, richtet diese Bemerkung an
einen Typen im dunklen Anzug, der das gegelte Haar perfekt zurückgekämmt trägt.
Beide beachten sie gar nicht. Na gut - die sind vereint, weil beide die ersten
drei Stunden Flaute durchgestanden haben.
    Kate betrachtet die unbekannten Gesichter um sich herum,
seufzt und geht in Richtung Tür. Sie drängt sich durch das reichhaltige Büffet
der Vernetzungsmöglichkeiten: kleine Häppchen Klatsch in sachlichen Gesprächen,
fettere Bissen potenziell nützlicher Kontakte. Einen Moment später hängt sie fest.
Sie will vorwärts, kommt aber nicht weiter. Erst begreift sie nicht, warum.
Dann spürt sie einen stählernen Griff - jemand hält sie am Ärmel ihres Jacketts
fest.
    Kate fährt verärgert herum - wer hält sie auf? Es ist der
Junge, der an ihrem Tisch saß. Er ist ziemlich groß, überragt sie um einiges
und hält sie immer noch am Jackettärmel fest. »Verzeihung, ich wusste einfach
nicht, wie ich Sie sonst hindern sollte, so rasch zu gehen. Ich würde wirklich
gern mit Ihnen reden.« Sein Akzent ist schwer einzuordnen - deutsch oder
osteuropäisch vielleicht. Seine Stimme klingt entschuldigend, und er lächelt
so entwaffnend auf sie herab, dass Kate kapituliert. Sie lächelt zurück.
    »Ich glaube nicht, dass wir uns kennen?«, meint sie.
    »Nein, aber ich hab Ihren Namen auf der Tischkarte gesehen
- er ist ukrainisch, nicht wahr?«
    Kate nickt zögernd.
    »Der Teilnehmerliste habe ich entnommen, dass Sie Anwältin
sind«, fährt der Junge fort, »und wahrscheinlich sind Sie die Richtige, um mir
zu helfen.«
    Kate betrachtet ihn genauer. Der Nickelrahmen seiner
Brille kann die Sommersprossen, von denen seine Nase nur so wimmelt, nicht
verbergen. Mit seinen grünen Augen, deren äußere Winkel nach unten weisen,
wirkt er wie ein Kinderclown. Ein trauriger allerdings - entweder wurde sein
Auftritt abgesagt, oder keiner hat gelacht. Leicht gebeugt steht er da, als
wolle er seine Größe verbergen, und jedes Mal, wenn er etwas sagt, streift er
sich mit seinen langen, dünnen Fingern nervös die jungenhaften Ponyfransen aus
der Stirn.
    Das sind die Finger eines Chirurgen oder Pianisten, denkt
Kate und schüttelt den Kopf, als wolle sie ihre Gedanken am Abschweifen
hindern. Er ist zu jung, um ein Testament aufsetzen zu wollen, aber vielleicht
genau im richtigen Alter, um ein Erbe anzutreten. Dieses Gespräch ist ein
Ersatz für die Networking-Session - jetzt kann sie Carol später ja doch etwas
erzählen. Kate schaut auf die Uhr. Noch eine Stunde, bis ihre Chefin sie in
ihrem Büro sprechen will, also noch Zeit für einen schnellen Espresso in einer
winzigen italienischen Sandwichbar bei der U-Bahn-Station. »Hätten Sie Lust auf
einen Kaffee, Mr ...?«, fragt Kate und bemüht sich um einen professionell
einladenden Ton. Sie hat hier einen Klienten und kann ihren und seinen Kaffee
unter Spesen verbuchen, und sei es nur, um Carol zu ärgern. »Andrij«, er
lächelt erneut.
    Auf dem Weg zur Sandwichbar erzählt er Kate, er sei Wissenschaftler,
habe sich auf gesellschaftspolitische Veränderungen spezialisiert und sei ein
richtiger Glückspilz, weil er ein Forschungsstipendium in Cambridge ergattert
habe. Sein Tutor, ein junger Cambridge-Dozent, habe Osteuropa mehrere Male
besucht, und sie diskutierten stundenlang über die wahren Gründe für die rasanten
Veränderungen der politischen Landkarte in jüngster Zeit.
    Sein Englisch ist schlicht und akzentbehaftet, mit
rollendem R und scharfem S, aber ziemlich korrekt - bisher fast fehlerfrei. Aus
irgendeinem Kate noch unbekannten Grund wischt er sich die Ponyfransen immer
nervöser aus der Stirn und meidet jeden

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