Sheylah und die Zwillingsschluessel
keine Unschuldigen, aber ich ebensowenig. Wir beschützen beide unseren größten Schatz und würden dafür jeden töten. Ist es nicht so, Andrey Darios?“ Andrey schaute ihn einen Moment nachdenklich an, dann fragte er: „Was willst du jetzt tun, nun, da du frei bist?“ „Zuerst werde ich Sheylah entgiften, dann werde ich euch nach Guanell begleiten.“ „Auf keinen Fall“, sagte Andrey. „Zu dem ersten oder dem zweiten Vorschlag?“ „Zu keinem der beiden Vorschläge“, sagte Andrey ärgerlich. „Ich fürchte, du hast keine Wahl, Andrey. Wir sind beide unsterblich und würden noch in hundert Jahren hier kämpfen, wenn wir uns nicht einig werden.“ Andrey sah aus, als würde er jeden Moment in die Luft gehen. „Warum willst du uns begleiten? Jetzt, wo du frei bist, könntest du überall hingehen.“ Sou antwortete nicht oder Sheylah bekam es nicht mit. Sie glitt auf den Boden und atmete schwer. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und in ihrem Mund bildete sich bittere Säure. „Sheylah!“, rief Andrey, doch es hörte sich gedämpft an. „Wenn ich euch nach Guanell begleiten darf, werde ich sie retten.“ „Retten wovor?“, fragte Andrey. „Sie wird wie ich“, antwortete Sou gelassen. „Ich habe vor Jahrhunderten selbst von dem Wasser getrunken und wurde zum Dämon. Wenn ich ihr nicht helfe, wird sie hier gefangen sein, so wie ich es war und warten müssen, bis ein anderer von dem Wasser trinkt.“ „Also gut, du kannst uns begleiten“, sagte Andrey ungeduldig. Sheylah spürte etwas Kühles auf den Lippen. Es war weich und linderte ihre Beschwerden augenblicklich.
Als sie kalten Atem auf ihrem Gesicht spürte, schlug sie die Augen auf und stieß den Dämon von sich – oder versuchte es zumindest, denn er wich schon vorher aus und wartete in einigen Metern Entfernung. „Was war das?“, wollte sie wissen und sah ihn angewidert an. „Er hat dich geküsst“, sagte Andrey und klang alles andere als freundlich. „Mehr nicht? Ein Kuss?“, fragte sie zweifelnd. Sou lächelte. „Gern geschehen.“
Nachdem sich der Dämon ihrem Trupp anschloss, verlangte Andrey von ihm, sie aus Nubis hinauszuführen, doch Sou hatte sich strikt geweigert. Er sagte, er sei nur ein Zuschauer und dass er sich deshalb aus allem heraus hielt. Erst Sheylah konnte ihn überreden, ihnen einen Tipp zu geben. Offenbar sprach er nur mit ihr. „Ihr müsst der Sonne folgen, sie wird euch den Weg weisen“, sagte er. Womit sie einen weiteren Teil des Rätsels gelöst hatten. Nachdem Sou sie geheilt hatte, fühlte sich Sheylah wieder wie neu und während sie der Sonne folgten, musste sie Andrey haargenau erzählen, wie es dazu kam, dass sie von der Frucht kostete. Er war ziemlich entsetzt, als sie ihm von dem Geist erzählte. „Ich dachte doch, es wäre Neela“, hatte sie sich verteidigt. Es herrschte eine Anspannung unter den Männern, die vorher nicht da gewesen war, was an dem gedankenlesenden Dämon lag. Dass er ein freier Dämon war, der keiner Macht mehr unterstand, war ein zusätzlicher Grund zur Besorgnis. Doch er ließ sich nichts anmerken oder es war ihm egal. Wann immer Andrey oder Djego ihn über die Sümpfe ausfragten, blockte er ab und erinnerte sie daran, nur Zuschauer zu sein. Das ärgerte die beiden zunehmend, vor allem, weil er Sheylahs Fragen immer mit dem größten Vergnügen beantwortete. Berger hielt sich auffällig weit entfernt von Sou auf. Sheylah schätzte, dass er Angst hatte. „Sag mal, gibt es eigentlich noch andere Menschen, die sich in Nubis aufhalten?“, fragte sie Sou, der neben ihr herging. Ihre Pferde hatten sie alle verloren, auch die treuen Königspferde. Sie waren entweder ertrunken oder geflohen. „Du meinst deine dunkelheutige Freundin. Sie kämpft nicht weit von uns gegen einige meiner Harpyien und hat ein merkwürdiges Wesen dabei“, antwortete er gelassen.
Sheylah brauchte ein paar Augenblicke, um zu begreifen. Er musste es noch einmal wiederholen, weil sie ihren Ohren nicht traute. „Was?“, rief sie. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“ „Du hast nicht gefragt“, antwortete er schulterzuckend. „Wo ist sie?“ Er deutete nach links und Sheylah stürmte los. Andrey und Djego, die alles mit angehört hatten, waren ihr dicht auf den Fersen, doch Sheylah war schneller und hatte die beiden schnell abgehängt. Aus der Ferne hörte sie ein Fauchen und Kreischen, das lauter wurde, als sie näher kam. Sheylah stürzte hinter einem Baum hervor und sah ein großes weißes
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