Sheylah und die Zwillingsschluessel
oder sie die Truhe nicht fand? Was, wenn einer ihrer Freunde ihretwegen starb? Ihr kam eine heldenhafte, aber törichte Idee. Sie könnte Morthon zu einem Zweikampf herausfordern und den Krieg vorzeitig beenden. Ihre Freunde würden sich nicht in Gefahr begeben und den Weg nach Guanell könnten sie sich auch sparen. Sou trat an ihre Seite und schüttelte den Kopf. Ach ja, den hatte sie ganz vergessen.
„Wehe, du sagst auch nur ein Wort zu Andrey!“, warnte sie ihn. Er zwinkerte ihr zu und war wieder verschwunden. Da bemerkte sie, dass Andrey sie ebenfalls beobachtete. Sheylah lief zu ihm und schlang ihre Arme um seinen Körper, er wirkte überrascht. „Du siehst bedrückt aus“, stellte er fest. „Es ist nichts“, versicherte sie ihm. Sie sah sein Gesicht nicht, deshalb wusste sie nicht, ob er ihr glaubte – wahrscheinlich nicht. Ineinander verschlungen liefen sie weiter, bis die Sonne unterging. Sie schlugen ein Nachtlager auf und zwar an einer Stelle, an der sich schon ein vorbereitetes Lagerfeuer befand. Neela musste es nur noch anzünden. Sie erklärte, dass die Lagerstellen im ganzen Land verteilt waren, für den Fall, dass man rasten musste. Sehr praktisch. „Ich kann euch leider nichts zu essen anbieten, damit müssen wir warten, bis wir in meinem Dorf sind“, entschuldigte sie sich. „Das macht nichts“, versicherte Djego, „Einige von uns haben noch ihre Proviantbeutel.“ Als sie alles auf einem Stück Stoff ausgebreitet hatten, kam allerdings nicht viel zusammen. Zwei Laib Brot, drei Äpfel, ein Stück Käse und fünf Wasserflaschen. Das war nichts, wenn man knapp einhundertfünfzig Personen ernähren wollte. Da Sou keine Nahrung zu sich nahm, fiel er von vornherein aus. Als Kalte Wesen konnten Raqui und Isaak wochenlang ohne Essen und Trinken auskommen und auch Sheylah versicherte, keinen Hunger zu haben. Ihr knurrender Magen strafte sie jedoch Lügen. Nach einer minutenlangen Predigt von Andrey gab sie schließlich nach und gönnte sich einen Apfel. Es kostete sie große Selbstbeherrschung, ihn nicht auf einmal zu verschlingen, aber sie wollte ihre Würde behalten. Außerdem war ihr klar, dass Andrey wusste, dass sie Hunger hatte. Ein Grund mehr, ihm diese Genugtuung nicht zu geben. Zum Schluss war ein Apfel übrig, doch niemand wollte derjenige sein, der ihn aufaß, also blieb er liegen. Sheylah starrte den Apfel sehnsüchtig an und nahm sich vor, ihn sich nachts zu schnappen. Sie hörte Sou über ihren Gedanken lachen und grinste zurück. Dann lehnte sie sich an Raquis Seite, die es sich neben ihr bequem gemacht hatte. Sheylah blieb noch lange wach, denn sie konnte einfach nicht schlafen. Sie war aber froh, dass wenigstens die meisten der anderen ihren Schlaf gefunden hatten. Sou war wach, scheinbar brauchten Dämonen wie er keinen Schlaf. Er lief von einem Mann zum anderen und amüsierte sich über dessen Träume. Berger schlief ebenfalls, aber Andrey, Neela und Djego hockten um das Feuer herum und unterhielten sich leise. Raqui war auch noch wach und schaute schnurrend in den sternklaren Himmel. Isaak hockte nicht weit von ihr, die Augen geschlossen und die Flügel um sich geschlungen. Als Neela bemerkte, dass Sheylah wach war, kam sie zu ihr geschlichen. „Warum bist du noch wach? Du hattest die Augen geschlossen, deshalb dachte ich, du schläfst.“ „Ich kann nicht schlafen, aber wenn ich euch bei einem wichtigen Gespräch störe, kann ich gern weiter so tun, als ob.“ Neela schien gekränkt. „Wie gesagt, ich dachte, du schläfst“, verteidigte sie sich. „Ich weiß, es war auch nicht böse gemeint, aber bei den beiden bin ich mir nicht so sicher“, sagte sie und deutete auf Andrey und Djego. Sie wusste, dass Andrey sie hören konnte und war deshalb auch nicht überrascht, als er ihr einen beleidigten Blick zuwarf. „Du könntest mich mit einer langweiligen Geschichte zum Einschlafen bringen“, schlug Sheylah vor. „Ich kenne keine langweiligen Geschichten. Die, die ich zu erzählen habe, würden dich die ganze Nacht wachhalten.“ „Dann habe ich keine Verwendung für dich“, sagte Sheylah und winkte sie fort. Neela lachte und setzte sich wieder an ihren Platz. Nach einer Weile wurde Sheylah unruhig. Neela war inzwischen eingeschlafen, Sou schlich immer noch herum und Andrey und Djego waren die einzigen, die noch wach waren. Sie hantierten an ihren Waffen herum, schleiften und putzten sie - was man eben so tat. Da kam Sheylah eine Idee. „Andrey“, flüsterte sie sehr
Weitere Kostenlose Bücher