Sheylah und die Zwillingsschluessel
Wiese war umgeben von Sumpf und toten Bäumen. In der Mitte blieben sie stehen und bildeten einen Verteidigungskreis, wobei sie ihre Waffen in alle Richtungen hielten. Doch die Harpyien folgten ihnen nicht. Entweder hatten sie Angst vor dem Sonnenlicht, das auf die Lichtung fiel, oder etwas anderes hielt sie zurück. Jedenfalls kreisten sie um die Fläche herum, blieben aber immer im Schutz der verdorrten Bäume. Im nächsten Moment wurde es totenstill und die Harpyien verschwanden. Sheylah hatte das Gefühl, dass sich ihnen etwas näherte, etwas, das sogar die Harpyien fürchteten. Andrey hielt sie immer noch im Arm und dafür war sie dankbar. Vor Erschöpfung konnte sie sich kaum auf den Beinen halten. Als Berger plötzlich aufstöhnte, drehte sich Sheylah zu ihm um. „Was ist?“, fragte sie, doch er antwortete nicht. Er starrte geradeaus, als sehe er etwas, das ihren Augen verborgen blieb. „Sei still und rühr dich nicht von der Stelle“, fuhr Andrey sie an. Sheylah verstand gar nichts mehr. Was war denn los? Sogar Djego wirkte angespannt. „Siehst du ihn denn nicht?“, fragte Djego. „Nein, wen denn?“, fragte sie und spähte in den Wald. Dann sah sie wen. Etwa dreißig Meter entfernt stand jemand im Schatten der Bäume und beobachtete sie. Als er aus dem Schutz der Bäume trat, hörte Sheylah, wie Bogen gespannt wurden. „Nicht“, rief Andrey und gab ein Handzeichen. Die Bogen blieben gespannt, wurden aber nicht abgefeuert. Der geheimnisvolle Jemand lehnte jetzt lässig an einem Baum, die Arme verschränkt. Er war so groß wie Andrey, schlank, aber muskulös. Sein Oberkörper war frei und blass, fast leuchtend weiß. Er trug eine Art Waffenrock, der bis zum Boden reichte und aus einem glatten, mattschwarzen Stoff bestand. Um seine Hüfte trug er einen dunkelblauen, reich verzierten Gürtel. An ihm baumelte ein gewaltiges Schwert, das lediglich durch eine Schnalle am Gurt befestigt war. Er selbst hatte lange weiße Haare, die ihn in dünnen Strähnen über das blasse Gesicht fielen. Sheylah konnte nicht sagen, ob er schön oder angsteinflößend war – etwas von beidem würde sie sagen.
Er schaute Sheylah ebenso gebannt an, wie sie ihn. „Ist das ein Vampir?“, fragte sie beunruhigt und begeistert zugleich. Zuerst antwortete niemand und sie glaubte, die fremde Gestalt lächeln zu sehen. Dann ergriff Andrey das Wort: „Das nicht, aber wenn du mich fragst, etwas viel Gefährlicheres.“ „Er ist ein Dämon“, sagte Berger. „Ich sehe da keinen Unterschied“, sagte sie und Berger schnaubte verächtlich. „Oh, doch den gibt es! Vampire kann man töten, Dämonen nicht.“ Darauf hatte Sheylah nichts zu sagen, also musterte sie den Dämonen weiter. Je länger sie ihn betrachtete, desto schöner wurde er, fiel ihr auf. Sie ertappte sich dabei, wie sie einen Schritt auf ihn zuging. Andrey hielt sie zurück. „Sieh ihm nicht zu lange in die Augen, sonst schlägt er dich in seinen Bann. Das gilt übrigens für alle!“ Die letzten Worte rief er an die anderen gewandt. Als Sheylah nicht reagierte, schüttelte er sie, bis sie wieder Herr ihrer Sinne wurde. „Finden wir heraus, was er von dir will“, sagte Andrey. Von ihr? Warum von ihr? „Was willst du, Dämon?“, rief er über die Lichtung hinweg. Zuerst geschah gar nichts und der Dämon musterte Sheylah weiterhin. Dann stand er direkt vor ihr und Sheylah zuckte zurück. Er hatte sich so schnell bewegt, dass sie ihm nicht hatte folgen können. Die Männer fuhren ebenfalls zurück, nur Andrey blieb, wo er war. Er stellte sich vor Sheylah, so dass sie an ihm vorbeischielen musste, um den Dämon zu sehen. Er hatte schwarze Augen und viele Narben im Gesicht. Er starrte auf Sheylah herunter und sie zu ihm hinauf. Sie glaubte, sie waren beide fasziniert voneinander. „Was willst du, Dämon?“, fragte Andrey erneut.
Der Dämon lächelte. „Mein Name ist Sou“, sagte er und verbeugte sich. Aber die Geste galt Sheylah und nicht Andrey. Seine Stimme passte nicht ganz zu seinem Aussehen, fiel ihr auf. Sie hörte sich rau und alt an, während sein Aussehen von jugendlicher Natur war. Sie warf noch einen Blick auf seinen ansehnlichen Körper, als Andrey ihr folgte. Mit hochgezogenen Brauen sah er sie an und Sheylah wandte schleunigst den Blick ab. „Ich will sie“, sagte der Dämon und starrte auf Sheylah hinab. Seine Stimme hatte nichts Bedrohliches an sich, trotzdem schauderte Sheylah bei seinem Klang. Die Männer spannten sich an und Angst lag in der
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