Sheylah und die Zwillingsschluessel
lesen zu können. Sie bemerkte, dass sich Andrey und Sou sehr lange anschauten. Sou las seine Gedanken und Sheylah hoffte inständig, dass Andrey einen Plan hatte. „Ich liebe dich“, sagte Andrey und Morthon lachte, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Wie rührend“, spottete er, aber Sheylah überging seine Bemerkung einfach. „Ich liebe dich auch“, antwortete sie, bis ihr klar wurde, dass Andrey gar keine Antwort erwartete. Sie wusste nicht, woher sie die Gewissheit nahm, aber er wollte keine Antwort von ihr, sondern sich verabschieden. Nein, dachte sie nur noch, dann geschah alles so schnell, dass sie sich später oft fragte, ob es sich wirklich so abgespielt hatte. Andrey griff von hinten um Morthons Hals, entwendete ihm den Schlüssel und warf ihn Sheylah zu. Sou hatte urplötzlich sein Schwert in der Hand, mit dem er Morthon enthauptete.
Einen Moment blieb Morthons Kopf auf seinen Schultern und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das blutige Schwert in Sous Händen, dann rutschte er von den Schultern und sein Körper erschlaffte. Das alles geschah so schnell und doch in Zeitlupe. Aber Morthons Tod nahm Sheylah nur am Rande wahr. Andreys Gesicht, das Lächeln, das er ihr schenkte, bevor auch sein Körper erschlaffte, dehnte sich zu einer Ewigkeit aus. Sie konnte seine Stimme hören und wusste nicht, ob sie es sich einbildete oder er es wirklich gesagt hatte. Es waren nur zwei simple Worte, die aber ein so großes Loch in ihre Brust rissen, dass sich Sheylah nicht gewundert hätte, wenn ihr Herz darin verschwunden wäre. „Vergiss mich!“, waren seine letzten Worte. Warum soll ich ihn vergessen, er lebte doch noch? Er ist bloß ohnmächtig geworden oder vor Erschöpfung zusammengebrochen, aber er lebte noch. Er muss einfach. Sie fand sich am Boden wieder, ohne zu wissen, wie sie dort hingekommen war. Morthon hat gelogen, dachte sie, er wollte nur nicht, dass ich seine Lüge durchschaue. Wir haben gewonnen, mein Urgroßonkel ist ein für alle Mal tot. Warum machte Sou dann so ein gequältes Gesicht? „Hör auf, Sheylah!“, sagte der Dämon. Sheylah verstand nicht. „Was meinst du?“, fragte sie und war über den Klang ihrer eigenen Stimme erschrocken. Sie hörte sich so leblos an. „Hör auf, dich selbst zu belügen. Ich kann es nicht ertragen, deine falschen Gedanken zu hören.“ Sheylah verstand immer noch nicht, denn das Denken fiel ihr schwer. Am liebsten hätte sie ihr Gehirn ausgeschaltet und an gar nichts mehr gedacht. „Andrey ist tot“, sagte er. „Nein“, sagte Sheylah mit Nachdruck und stand umständlich auf. „Er ist tot.“ „Halt die Klappe“, flüsterte sie.
„Sheylah, bitte …“ „Halt verdammt noch mal deine Klappe“, schrie sie und stürzte auf Andrey zu. „Er ist unsterblich, er ist nicht tot, nur erschöpft“, sagte sie. Sie ließ sich neben ihn fallen und hob seinen Kopf, doch er bewegte sich nicht. Sie legte ihr Ohr an seinen Mund, doch er atmete nicht. Sie berührte seine Brust, um sein Herz zu spüren, doch es schlug nicht. „Nein“, flüsterte sie in einem fort. Doch Andrey lag nur da, tot und kalt. Gott, warum war er so kalt? „Sheylah, was ist …“, erklang Neelas Stimme. Sie kam mit den anderen auf sie zugelaufen, wurde aber mit jedem Schritt langsamer. Nur mühsam hob Sheylah den Kopf und schaute ihrer Freundin ins Gesicht. Was auch immer Neela in ihren Augen sah, es ließ sie erstarren und am Boden zusammensacken. Djego weinte stumme Tränen und nahm seine Freundin in den Arm, aber der Kampf war längst nicht vorbei und um sie herum gellten immer noch Kampf- und Schmerzensschreie. Dank Arlindinho und Medäha war der Platz, auf dem sie sich befanden, noch monsterfrei. Sie hielten die Kreaturen auf, die sich auf sie stürzten und schlachteten eine nach der anderen ab. Sheylah ließ den Blick über ihre Freunde gleiten und sogar Berger, der Andrey nie hatte leiden können, schaute bekümmert drein, nur Sous Blick war … nichtssagend, fast gleichgültig. „Du“, sagte Sheylah und zeigte mit dem Finger auf ihn. Sie hob ihr Schwert und näherte sich ihm langsam. „Was machst du da?“, fragte Neela und wollte sich von Djego lösen, doch er hielt sie zurück. „Du hast Morthon getötet, obwohl du wusstest, dass Andrey dabei sterben würde.“ „Er hat es so gewollt“, sagte Sou ruhig und behielt sie ganz genau im Auge. Sein Schwert lag neben ihm auf dem Boden, doch er hob es nicht auf. „Arrogantes Arschloch. Du glaubst wohl, gegen mich brauchst
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