Sheylah und die Zwillingsschluessel
angesehen, bevor ich sie getötet habe.“ Sheylahs Blick wurde wieder hart, denn mit diesem Satz hatte er all ihre gutgemeinten Absichten wieder zerstört. „Andrey“, rief Sheylah so laut, dass sie über das gesamte Schlachtfeld zu hören sein musste – zumindest für ihn. Nach gerade mal einer Minute war er an ihrer Seite und erstarrte, als er Morthon sah. Sofort stellte er sich zwischen die beiden und schob sie hinter sich. „Was geht hier vor?“, fragte er und in seiner Stimme schwang Angst mit. „Meine Urenkelin hat mich zu einem Duell herausgefordert, einem menschlichen, nicht magischen Duell.“ „Was?“, rief Andrey und sah sie fassungslos an. „Bist du verrückt geworden?“ Die Frage hatte sie sich auch schon gestellt. „Ich habe keine andere Wahl, Andrey. Schau dir unsere Truppen an. Bis zum Morgengrauen werden sie alle tot sein und ich will diesen Kampf ein für alle Mal beenden. Ich möchte nicht, dass auch nur noch einer von uns für mich stirbt.“ Andrey sah sie mit jenem enttäuschten und entsetzten Blick an, den sie so an ihm hasste.
Denn er sagte ihr, dass sie wieder einmal Mist gebaut hatte. „Glaubst du wirklich, er wird deine Freunde gehen lassen, wenn du tot bist? Oder, dass seine Kreaturen aufhören werden, wenn er gestorben ist? Die Menschen kämpfen nicht für dich, sondern für ihre Familien und ihre Zukunft, du wirst dich umsonst opfern.“ Er nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Wie immer hatte sie unbedacht auf eigene Faust gehandelt, ohne Andrey vorher zu fragen. „Sie kann nicht mehr zurück. Ich habe ihre Herausforderung angenommen. Dadurch wurde unser Pakt besiegelt. Das Duell muss stattfinden“, unterbrach Morthon ihre Gedanken. Wütend drehte sich Andrey zu ihm herum und Sheylah konnte das Durcheinander in seinem Innern spüren. Sie waren nicht nur durch Liebe, sondern auch durch die Magie des Schlüssels aneinander gebunden. Sie konnte spüren, wie verängstigt, wütend und verzweifelt er war und das nur ihretwegen. Eine vermummte Gestalt kam auf sie zu. Es war Loki und er sah genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Roter Umhang, schwarze Rüstung und die Hände zu einem spitzen Werkzeug geformt. Vor einer Woche, auf dem Weg nach Lichtingen, waren sie von ihm und seinen Jägern angegriffen worden. Sie hatte Loki vor ihren Füßen zu Staub zerfallen sehen und geglaubt, er sei tot. Doch natürlich war er es nicht, er war Morthons Wächter und lebte so lange, wie Tuga existierte. „Loki und Andrey werden unsere Schlüssel tragen, während wir kämpfen. Der Sieger bekommt beide, sind alle damit einverstanden?“ Andrey, Morthon und Sheylah stimmten zu, nur Loki sagte nichts. „Er muss auch zustimmen“, forderte Andrey misstrauisch, aber Morthon lächelte entschuldigend. „Er kann nicht sprechen, aber vielleicht kann er uns anders zustimmen“, schlug er vor. Sheylah wusste, dass er log. Sie hatte Loki sprechen hören und seine Stimme hatte damals verdammt menschlich geklungen.
Doch ehe sie etwas erwidern konnte, öffnete Loki den Mund und herauskam das von ihr so verhasste Rasseln. Es schmerzte in den Ohren, doch diesmal unterdrückte sie den Impuls, sich auf den Boden zu werfen und die Ohren zuzuhalten. Als Loki aufhörte, schauderte Sheylah von dem Nachklang in ihren Ohren. Sie und ihr Urgroßonkel starrten sich lange an, dann überreichten sie gleichzeitig die Schlüssel an ihre Wächter. Sobald sie Tarem abgelegt hatte, fühlte Sheylah sich nackt und verletzlich. Sie schaute auf. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und Isaak noch immer nicht zurück. Hatte sie wirklich geglaubt, dass er es schaffte, in vier Stunden wieder hier zu sein? Töricht, aber so war es. Sheylah sah, dass auch Morthon sich unwohl fühlte. Die Finsternis aus seinen Augen verschwand und er begann zu schwitzen. Sie vermutete, weil er Tuga schon so lange getragen hatte. Sie zogen gleichzeitig ihre Schwerter und begannen sich zu umkreisen. Sheylah warf einen letzten Blick auf Andrey. Er lächelte ihr aufmunternd zu, aber seine Augen waren unendlich traurig. Also glaubte er nicht, dass sie gewinnen würde! Morthon griff als Erster an und täuschte einen Seitwärtshieb vor. Sheylah ahnte es voraus und drehte sich nach rechts. Zu spät fiel ihr der Fehler auf, denn er hatte es geplant und traf sie an der rechten Schulter. Sein Schwert schnitt mit einer Schärfe und Leichtigkeit in ihr Fleisch, dass der Schmerz nicht sofort einsetzte. Tarem musste auch ihr Schmerzempfinden
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